Norwegen

Norwegen

Norwegen. Wie eine Haube von Granit und Porphyr, auf dem Haupte der Jungfrau Europa, so dehnt sich Norwegen über Schwedens Nordwestgrenzen aus. Ein steinerner Helm war es vormals, denn die langen, hochblonden Normannen fand die graue Vorzeit als mächtige Seehelden auf allen Meeren, als kühne Eroberer im fernen Sicilien, wie im heutigen England. Poetische Göttersagen vom Thor und Wodan und der lieblichen Freia bildeten die alte Götterlehre dieses wundersamen Volks; ihre riesigen Heldengeschichten fließen mit den fabelhaften Islandssagen zusammen. Die eigentliche Geschichte Norwegens beginnt erst mit dem Ende des 10. Jahrhunderts, als König Olaf I. und dann Olaf II. mit Feuer und Schwert den christlichen Glauben einführten, und dabei die vielen kleinen Könige, welche die freien Normannen beherrschten, unterjochten. Blutige Kriege und wilde Eroberungen reihten sich an einander in dieser alten Zeit; bald waren dänische, bald schwedische Könige Beherrscher über Norwegen, bald hatte dieses sich frei gekämpft und herrschte über seine beiden nordischen Schwesterreiche; bald war es freie Vereinigung dieser Drillinge unter dem Namen der scandinavischen Königreiche. Im Jahr 1814 trennte der Sieg der verbündeten Mächte über Napoleon Norwegen von dem mit Frankreich verbündeten Dänemark und vereinigte es mit Schwedens Krone; aber eine besondere Verfassung und abgesonderte Verwaltung sichert Norwegens Freiheiten und Rechte, obwohl sein Handel nicht mehr blühet, wie vormals. Eine dünn gesäete Bevölkerung von 1,200,000 Ew. ist auf einer von Felsen und Schluchten, Gebirgen und Seen, Wäldern und Morästen zerrissenen Oberfläche zerstreut, die man auf 5800 Quadrat M. schätzt. In einigen Gegenden, wie in den Norrlanden und Finnmarken, kann man kaum 24 Menschen auf die Quadrat M. rechnen, in andern ungefähr 190. Wenige nicht sehr volkreiche Städte, als Christiania, Drontheim, Bergen u. a., sind die Träger der Civilisation, die oft erfreuliche Strahlen aussenden über das schöne, wilde Land; im Allgemeinen aber trägt dieses den Charakter der Erhabenheit, urweltlicher Bildungen und mächtiger Erdrevolutionen. – Welche Schauer der Gefühle ergreifen dort den Wanderer! Hier erhebt sich ein waldiges Hochland auf dem Rücken verwitterter Porphyrniederlagen, deren prachtvolle Bildung man an den senkrecht abfallenden Felsenwänden oder in der tiefen Zerklüftung erkennt, durch welche die gefahrvolle Straße sich hart am Rande eines in schwarzer Tiefe schäumenden Sturzbaches hinwindet; dort stürzen vom hohen Plateau Wasserfälle in die Abgründe und zerstieben in der Luft zu Staub und Dunst; da läuft ein weißes Gerenn von Geröllsteinen, welche Regengüsse ausgewaschen haben, in langen Rissen der rothen Porphyrwände oder dunklen Granitmauern herab, und aus weiter Ferne glaubt der Wanderer himmelhohe Wasserfälle zu erblicken; da umfängt dich das heilige Rauschen riesiger Fichten, und du steigst mit Grauen in ihren dunklen Schatten mühsam über verwittertes Gestein dahin, bis plötzlich die Felsenmauern zerreißen, der Wald sich öffnet und ein entzückender Durchblick durch die wilde Schlucht dir eine magisch beleuchtete und wunderbar lebendige Landschaft zeigt, die dich anlächelt mit ihren hellgrünen Wiesen und Feldern, rothen Gehöften und spiegelhellen Landseen; schneebedeckte Kuppen schimmern im Hintergrunde. Hier ist das Land der Contraste: erhabene Größe und idyllische Anmuth, grauenvolle Wildniß und belebte Landschaft, kurze brennende Sonnenhitze und lange Winterkälte – alle diese Gegensätze in unmittelbarer Berührung. Ein hohes Gebirge, ein Ast des Kjölen-Gebirgs, Dovrefield genannt, theilt Norwegen in das südliche und nördliche. Wo die Region des Gedeihens der Fichten aufhört, da beginnt die der Birken, die, immer kleiner werdend, sich hinaufziehen bis hoch oben in die blauen Lüfte an die Grenzen des ewigen Schnees. Dazwischen starren ungeheuere Massen von Urgranit herauf in den wildesten, kühnsten Formen. Die Härte dieses Gesteins widersteht jeder Verwitterung, und seine Glätte jeder Vegetation. Die tief ausgezackte Küste, vom Nordkap, dem nördlichsten Punkt von Europa, bis zum Kap Lindenäs, enthält zahllose Buchten, bald mit sanft ansteigenden grünen Ufern geschmückt, bald dunklen Höhlen gleichend, in welchen die Wogen schäumen, sprühen und heulen, bald Landseen bildend, die tief hineinschreiten in die rauhe Wildniß dieses zerrissenen Landes. Senkrechte Felsenwände, aus unergründlicher Meerestiefe herauftauchend, bilden dort Bastionen, die vom tausendjährigen Wogendrange des Eismeers nicht erschüttert werden. Inseln und Holmen, bald grün und milde, bald wild und zackig, umgeben diesen riesigen, zerklüfteten Strand. – Die Bewohner dieses rauhen Landes, Finnlappen und Norweger, sind der lutherischen Confession zugethan. Ihre Sprache ist von der dänischen wenig verschieden. Die Lappen sind Nomaden, deren Reichthum in Rennthieren besteht. Andere treiben Fischfang in kleinen Böten, deren Bedeckung den Mann umschließt. Gedörrter Fisch, oder ein Gebäck aus Fichtenrinde und Moos, seltener hartgetrockneter Haferkuchen, vertritt die Stelle des Brodes. Dagegen ist der hochgewachsene Norweger, obgleich noch unverdorbener Sohn der Natur, doch der Civilisation schon näher gerückt. Mit Stolz und Kraft vereint er dreiste Zuversicht und verwegene Kühnheit, überhaupt einen hohen Grad von Freiheitsliebe und Selbstständigkeit, die sich schon am Knaben äußert. Sonst gehört Milde und patriarchalische Gastfreundschaft zu dem Charakter des Landbewohners. Der freie Bauer nennt sich nach seinem Hofe, der oft einsam liegt, von Aeckern und Wiesengründen umgeben, in Mitten einer romantischen Wildniß gelegen. Zu den beliebtesten Nationaltänzen gehört der Hallingtanz mit seinen leidenschaftlichen Wendungen und tollkühnen Sprüngen, die an eine schamanische Raserei erinnern und doch nicht ohne Anmuth sind, getanzt von zwei jungen Männern in malerischer Tracht mit buntgestickten Beinkleidern nach den seltsam fremden Tönen einer mit vieler Fertigkeit gespielten Geige. Harmlose Neugier empfängt überall den Fremden mit der gutmüthig gemeinten Frage: Wer ist der Kerl? – was will der Kerl? – – Uebrigens ist das Land in 5 Bisthümer und 4 Stiftsämter eingetheilt. Jede Gegend hat wieder ihre ganz eigenthümlichen Sitten und Charakterzüge. Hier konnte nur das allgemeine Bild dieses wundersamen Landes mit seiner fabelhaften Vorzeit und wildromantischen Natur gegeben werden.

B....i.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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