Strauss und Lanner

Strauss und Lanner

Strauss und Lanner. Die Sonne ging im Februar des Jahres 1834 über Berlin auf wie gewöhnlich. Aber etwas ganz Ungewöhnliches mußte heut' vor sich gehen sollen. Domestiken und Grisetten, Coeffeurs und Tailleurs eilten die Straßen auf und nieder wie im Galopptanze; die Zofen hüpften mit den Minuten, als gält' es in Sturmschritten die Zeit zu erobern. Alle Frauen saßen schon seit einer Stunde vor dem Spiegel und betrachteten mit ängstlicher Kunstmiene die Frisur à la mode und die graziöse Taille à la guêpe. Vergangenen Abend war er ja angekommen mit seiner fliegenden Kapelle, der europaberühmte Wiener Kapellmeister, Johann Strauß, »der Weltenumwälzer,« wie er genannt ward, der süße Tyrann der Podagrasüße, der fuß- und herzumstrickende Tanzcomponist, l'homme du siècle dansant.... Und endlich öffnen sich die Thüren des Ballsaals, die Kerzen leuchten und alle Blicke leuchten; der kleine Zauberer erhebt den Tactcommandostab; – und buntwirbelnd rauscht der »Iriswalzer« einher, in welchem sich alle Regenbogenfarben der Rhythmen entfalten wie gaukelnde Sylphiden. Ihm folgt der »Philomelenwalzer,« bei welchem die Herzen wie Nachtigallen schlagen, und der kunstvolle, nächtliche Reigen sich zu Melodien windet wie zu süßen Nachtklagen über die Flüchtigkeit der Zeit. Doch schon rauscht ein neuer Walzer daher: »Des Verfassers beste Laune,« auch der »Charmantwalzer« genannt, und steigert die beste Laune der Tanzenden zur allerbesten. »Das Leben ein Tanz« erklingt fröhlich zum lebendigen Tanzen, zum tanzenden Leben. »Frohsinn mein Ziel« führt mit glänzenden Rhythmen zum Ziele der lieblichsten Ermüdung. Wie ein goldener Traum aus jenen Höhen, wo der glühende Tokaier in Trauben schwillt, erschallt die »Erinnerung aus Pesth.« Und nach kurzer Pause beginnt der zweite Theil, und die »Gedankenstriche« versetzen Alles auf's neue in herz- und sinnauslösende Gedanken bei dem Bogenstriche des Maëstro. Wie zum Spott ertönt darnach das »Mittel gegen den Schlaf,« und endlich schließt das herrliche Potpourri: »ein Strauß von Strauß« als Concertino den wonnigen Wirbelstrauß mit den lieblichen Sträußchen harmonisch verschlungener Pärchen. Doch ehe wir schließen, noch einen dankbaren Blick auf den kleinen Tanzdirecteur! Geb. am 14. März 1804 zu Wien, wo er jetzt Kapellmeister des ersten Wiener Bürgerregiments ist, ergriff Strauß zuerst das Buchbinderhandwerk; bald aber, des Leimens und Falzens müde, griff er dafür zur Geige. Schon 1823 wirkte er in Lanner's Gesellschaft im Prater mit; und das Jahr darauf ward er selbst Dirigent der Ballmusiken im Gasthofe zum Bock auf der Wieden. Später bildete er sich ein eigenes, treffliches Orchester heran, mit dem er jetzt besonders in Dommayer's Casino in Hietzing, im Gasthofgarten zur goldnen Birn auf der Landstraße, zum Sperl in der Leopoldstadt etc. spielt. Auch arrangirt er schöne Feste, z. B. im Augarten, in Baden, Hietzing etc., obwohl seine schönste Blüthenzeit vorüber zu sein scheint. Nach einem Ausfluge nach Pesth, auf welchem er mit Beifall überschüttet wurde, gastirte er mit seinem Orchester, wie schon erwähnt, 1834 in Berlin, dann in Leipzig, Dresden, Prag, sowie ein Jahr später in München, Nürnberg, Frankfurt etc. Die Zahl seiner Compositionen, Walzer, Galoppe, Potpourris, Märsche, etc. beläuft sich gegenwärtig auf 90. Alle diese Tänze, ohne Ansprüche auf höhern Kunstwerth zu haben, wirbeln doch mit den Tanzenden herum, und ihr lebendiges buntcontrastirendes, scharfmarkirtes Tempo, ihre pikanten Rhythmen, ihre wollüstigen Anschläge, ziehen den Ermatteten förmlich bei den Füßen fort. Dabei ist Strauß die Seele seines Orchesters und weiß jedes Instrument in allen seinen Nüancen auszubeuten. – Joseph Lanner, Kapellmeister des zweiten Wiener Bürgerregiments und Strauß' einziger Rival, wurde in Wien 1801 geb, und bildete sich aus sich selbst gründlich zur Composition vor. Mit allgemeinem Beifalle wurden schon seine frühesten Tänze aufgenommen, worauf er sich ein eigenes Orchester bildete, mit welchem er auf mehreren Kunstausflügen überall mit Beifall überhäuft wurde. Jetzt spielt er in Wien regelmäßig alle Montage und Donnerstage im Paradies- und Volksgarten, sowie auch in mehreren großen, öffentlichen Gärten in den Vorstädten. Zur Zeit des Carnevals besorgt er die Tanzmusik in den k. k. Redoutensälen, und überhaupt scheint er jetzt Strauß, der ihn eine Zeit lang in der Gunst des Publikums übertraf, wiederum überflügelt zu haben. Jedenfalls steht er auch höher als dieser. Seine Compositionen sind tiefer gedacht und empfunden, eigenthümlicher und delicater modulirt; sie erblühen in Grazie, Originalität, Lieblichkeit und Naivetät, und dürfen nur auf das Zarteste nüancirt und genau und delicat markirt werden, um, wenn auch nicht so heftig hinreißend, doch ebenso tanzgemäß zu sein, als die feurigen und stärker aufgetragenen Walzer seines Rivals. Wir erwähnen nur unter seinen zahlreichen, jetzt sich über hundert belaufenden Tanzcompositionen seinen »Schnellsegler,« der schnell mit uns dahinsegelt über den Ocean der Töne wie ein leichtbeschwingter, melodischer Nachen, ferner den »Olympwalzer,« der uns auf den Olymp selbst geleitet, wo Euterpe ihre Reigen führt und Hebe uns lächelnd den Becher credenzt; den »Lockwalzer,« welcher den Namen mit der That führt; den »Isabellenwalzer,« »Kometwalzer,« »Pariserwalzer,« »die Schwimmer« etc. Außerdem schrieb er noch sehr viele gediegene Cotillons, Galoppen und Potpourris, auch Militärmusik und Opernarrangements.

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http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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