- Lyrik
Lyrik, lyrische Poesie. Der Dichter gibt im lyrischen Gedichte sein eigenes Inneres, und man hat sonach in einer Reihe lyrischer Gedichte den Charakter eines Dichters wie in einem großen Bilde vor sich. Die lyrische Poesie unterscheidet sich also von der dramatischen und epischen vor Allem dadurch, daß in ihr das persönliche Gefühl vorherrscht, während sich im Drama der Dichter selbst verläugnet und die Personen nicht nach seiner, sondern nach der aus ihrem Charakter entwickelten Ueberzeugung sprechen läßt und im Epos die Begebenheiten nur erzählt. Das lyrische Gedicht ist deßhalb, weil es auf das persönliche Gefühl und auf einen Moment beschränkt ist, das gebundenste. Indessen, obschon sich im lyrischen Gedichte Alles in Gefühl auflöst, so erzeugt doch erst das poetische Gefühl ein lyrisches Gedicht. Es muß dieses Gefühl zunächst ein des Sanges würdiges sein, in sich abgeschlossen, und muß sich anschaulich machen in einer schönen Reihe bildlicher Ideen. Die durch die bildliche Sprache festgehaltene Stimmung des Dichters muß auch die des Lesers oder Hörers erwecken; darum darf durch das lyrische Gedicht jedes Mal nur ein eigenthümliches Gefühl herrschen, das aber, wie in einer Variation das Thema, das Motiv, durch manche Wendungen den Weg zum Herzen suchen kann. Aus der Natur des Gefühls ergibt sich, daß der Umfang eines lyrischen Gedichtes ein beschränkter sei. So mannichfaltig das Gefühl sich in uns äußert, so reichhaltig an Ideen ist das Gedicht, und es offenbart dasselbe in tausend Weisen und Arten. Jetzt, im Kummer, geht der wahre Dichter geradezu auf das Herz selbst und fordert es in einfachem Tone zum Mitleiden auf; jetzt reißt ihn sein Schmerz über das Gebiet gewöhnlicher Eindrücke hinaus und er gibt ihn kund durch Bilder der zürnenden, zerstörenden Natur; jetzt führt ihn Wehmuth in ein Thal, und das Schweigen der Gegend deutet er mit der sanften Klage der Nachtigall; oder er fliegt in seiner Luft in den Aether, auf den Gipfel eines wolkentragenden Felsen, von dem herab er der Welt seine Wonne zujauchzt, oder er leiht sich vom Frühlinge Blüthen und Blumen und windet sie zum zarten, duftigen Kranze. – So wird das lyrische Gedicht. Es muß aufregen, entzücken und beruhigen; denn dieß ist der Zweck aller Kunst. Alle jene poetischen Darstellungen also eines bestimmten Seelenzustandes sind lyrische Gedichte. Man nennt ferner auch jeden leidenschaftlichen Erguß der Rede im Drama und Epos eine lyrische Rolle, nur daß der Dichter selbst dann noch Rücksicht nimmt auf den Charakter der sprechenden Person. Des lyrischen Gedichtes Quelle ist das Herz, und dieses borgt von der Phantasie den Zauber der Einkleidung. So vieler besondern Regungen das Gefühl fähig ist, so viele lyrische Arten sind möglich, also zahllose; indessen hat man doch verschiedene bestimmte Formen dafür. Siehe Hymne, Ode, Lied, Sonett etc
B–l.
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.