- Byron
Byron Unserm Zeitalter war es vorbehalten, jenes glänzende Beispiel eines Sängers zu geben, dem die Dichtkunst ihre Leier lieh, damit aus den Tiefen seiner zerrissenen Seele Klänge des eigensten Schmerzes, eines Schmerzes tönten, den jene sonderbar innige Mischung von Gefühl und Phantasie gebar, von der so häufig das Leben des Dichters vergiftet wird. Wenn Natur und Wesenheit jemals Einen zu dem vollgiltigsten Anspruche auf diesen Charakter in all seiner stürmendsten Kraft und seiner weichlichsten Schwäche, mit seinem unbändigsten Streben nach Luft und seiner leisesten Empfindlichkeit für den Schmerz berechtigten, so war es Byron, und es bedarf weder langer Zeit, noch tiefen Eindringens in das menschliche Innere, um die Gründe, aus denen die Vereinigung jener Mächte in einer Seele eben so viel zur Glückseligkeit als zum Elend derselben beitrug, zu entdecken. George Noel Gordon, Lord Byron, aus einem alten Normannengeschlecht, das mit Wilhelm dem Eroberer nach England gekommen war, wurde am 22. Januar 1788 in Dover geboren; drei Jahr alt verlor er seinen Vater, der, ein toller Wüstling das Vermögen seiner Gattin verschwendet hatte und nach Frankreich geflohen war; schwächlich an Körper, verunstaltet durch einen Klumpfuß, trotzig und launisch folgte der 8jährige Knabe seiner Mutter nach den Hochlanden, wo diese am Ufer des Dee eine einsame Gegend am Fuße des schauerlich kühn aufsteigenden Loch-nagar bewohnte. Die erhabene düstere Natur und die dunkeln Lieder und Sagen des Landes prägten sich dem jugendlichen Gemüthe tief und dauernd ein, in dem schon damals ein kecker Muth, ein seltener Hang zur Einsamkeit, und eine empfindliche Sonderbarkeit hervortraten. Im 10. Jahre erhob ihn der Tod eines Oheims zum Lord, 1805 bezog er, auf den Schulen zu Aberdeen und Harrow gebildet, die Universität Cambridge, und hier war es, wo sein gewaltiger Geist sich entwickelte und die ersten Blüthen trieb. 1808 erschienen die Hours of Idleness, mit den liebenswürdigen Hebrew Melodies, vielleicht den gelungensten lyrischen Gedichten der englischen Literatur, meist auf Newstead-abbey, seinem Familiensitze, entstanden, von wo er, nach erlangter Mündigkeit, 1819 die erste Reise nach Griechenland über Portugal und Spanien antrat. Die zwei ersten Gesänge des Childe Harold waren die Früchte davon; der Drang der kräftigsten Empfindung, die feurige Keckheit des Urtheils, die geniale Größe der Ansichten, der himmelstürmende Trotz, die Selbstständigkeit, die zauberisch bunten Farben der Scenerie und über all diesen Strahlenschimmer der melancholisch schwarze Schleier eines süßen Liebesgrams, rissen zur Bewunderung hin; the Giaour, the Bride of Abydos, the Corsair, Lara, the Siege of Corinth, Parisina, schmückten Byron's Haupt mit neuen Lorbern. Unterdessen hatte sich seine abstoßende Eigenthümlichkeit, sein energischer Eigenwille, seine schroffe Menschenfeindlichkeit immer weiter abgeirrt; sein Herz sehnte sich nach Annäherung und doch trug er darin den Stachel jener Jugendschwärmerei, die sein Lieben wie sein Hassen umnachtete; er vermählte sich 1815 mit Anna Isabella Noël; schon 1816, nachdem ihm eine Tochter Ada geboren worden war, verließ sie ihn, der, mit edlem Selbstgefühl sich die Schuld des Mißverhältnisses beimessend, die Gefühle seiner hohen Achtung in dem schönen Farewell niederlegte. In Begleitung seines Freundes Shelley verließ er England und ging durch Belgien, die Rheinlande und die Schweiz, nach Venedig, wo er im Hause des Grafen Zamba, im Umgange mit der Gräfin Guiccioli 3 Jahre hindurch das eigenthümlichste, ungezügeltste Leben führte; während der Zeit entstanden der 3. Gesang von Childe Harold, der gigantische Manfred, der Prisonner of Chillon. Der Ausbruch der italienischen Revolution nöthigte den Vater und Bruder seiner Geliebten, zu fliehen. Byron begleitete sie bis nach Genua, dort dichtete er die Prophezeihung Dante's. Gleichzeitig bereiteten sich die Ereignisse in Griechenland vor; dahin riß ihn sein Schicksal, nachdem der 4. Gesang des Ch. H., Marino Valiero, Mazeppa, Beppo, Cain, Sardanapalus, Heaven and Earth, the Island, Werner und the Deformed transformed schnell auf einander gefolgt waren. Im Juli 1823 reisete er nach der Hellas ab, deren Freiheit er fortan leben und sterben wollte. Don Juan, an dem er bis wenige Tage vor seinem Tode gearbeitet hatte, war sein letztes Werk; nach einem Spazierritt den 9. April 1824 wurde er krank und starb schon am 19. April zu Missolunghi. Ganz Griechenland betrauerte ihn; sein Leichnam ward nach England gebracht und in der Gruft von Newstead-Abbey beigesetzt. Die interessanteste Biographie Byron's verdanken wir seinem Freunde Thomas Moore und Wilhelm Müller. Seine gesammelten Werke erschienen 1825 bei Brönner in Frankfurt am Main, eben daselbst Adrians treffliche deutsche Uebersetzung.
T.
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.