- Mutter
Mutter. Die junge Gattin ist Mutter geworden, sie hat ein Anrecht auf die künftige Generation erlangt, sie hat sich durch ein mächtiges Band an sie gekettet. Ein neues Dasein öffnet sich ihr mit neuen Pflichten, neuen Freuden, Schmerzen und Entbehrungen. Aber das gerechte Schicksal flicht in die Leiden der liebenden Mutter duftige Blüthen der Mutterfreude, die schlaflosen Nächte belohnen sich durch ein einziges Lächeln des Säuglings; in jeder Aufopferung liegt ein Lohn, in jeder Entbehrung eine Seligkeit. Sie gibt der Welt einen Bürger, ein Glied der großen moralischen Kette, die ohne Unterbrechung Welt und Zeit vom Schöpfungstage bis zum Weltuntergange, mit Bestrebungen, Thaten, Hoffnungen, Träumen, Wonne und Schmerzen ausfüllt. Eine neue Welt geht auch ihr auf, andere Gefühle leuchten aus der Brust empor, wo sie bisher nur halbgeahnt dämmerten. Sie hat mit einem Male ihren Beruf erfüllt, den Gipfel ihrer erhabenen Bestimmung erreicht. An den Gatten fesselt sie nun das Band des Blutes, an sein Leben ein drittes, zwischen Beiden stehendes, ihnen in Liebe und Luft angehörendes. Das neue Wesen ist die verkörperte Idee ihrer Liebe, die Frucht ihrer Seelenharmonie. Es ist ein Vermittler zugleich, durch welchen sie sich besser verstehen lernen, sich in ihrem Wesen fester aneinander schmiegen, gemeinsam einer Zukunft vertrauen, auf einen Himmel bauen! Sie fassen und fühlen es, daß sie von nun an fortleben und fortwirken im Geiste und in der Materie. Es offenbart sich ihnen der Athemzug der Gottheit, die alles werdende Leben erfüllt. Jede Hoffnung ist Wirklichkeit geworden, der Traum, die Ahnung, der unbestimmte Wunsch zur Anschauung verkörpert. Ihre Seligkeit kennt keine Grenze; man muß sie gefühlt haben, um den Werth, den Reiz, die erhabenste Poesie des Erdenlebens zu begreifen. Nicht in der ersten Liebe geht sie auf; hier ist sie nur Trunkenheit, das Auge blickt durch einen Schleier in die rosige Dämmerung der Zukunft; erst das Vater-, das Muttergefühl gibt diese Wonne, für deren Größe bis dahin Herz und Phantasie keinen Maßstab hatten. Wie durchströmt das beseligende Gefühl, einem Wesen das Dasein gegeben zu haben, das ein Theil ihres Selbst ist, die Mutterbrust; wie baut sich eine neue Ansicht, ein großartigerer Hintergrund des Lebens vor ihr auf, wie lernt sie erst jetzt den Werth des Lächelns, die Bedeutung der Thränen kennen, die sich aus ihrem Auge in dem des Kindes widerspiegelt. Jedes Weib, das ein Kind geboren, wird edler, erhabener, vollkommener und klarer in seiner Seele. Es ist erst als »Mutter« vollendetes Weib. – Schlagt die Bücher der Geschichte auf; ihr werdet viel hochherzige, edelgesinnte Mädchen finden, aber tausendmal mehr aufopfernde, hingebende Mütter. Die göttliche Mutter unsers Heilandes erreichte den Höhenpunkt ihrer irdischen Tugend und Reinheit erst als Mutter, als leidende Mutter, mit dem zerbrochenen Herzen, dem thränenquellenden Auge. Sollen wir hier an eine Hekuba und Niobe, an die liebende Ceres, an der Gracchen Mutter, an die gewaltige Makkabäerin, an die letzte Hohenstaufin Margarethe, an Konradins Erzeugerin, an jene hochsinnige Maria Theresia und die an überschwenglicher Liebe reiche Lätitia, die Mutter Napoleons etc. erinnern? Mit dem Herzblute hat schon oft die Mutter ihren Säugling getränkt, dem Löwen der Wildniß seine Beute abgerungen und ihr eigenes Dasein geopfert. Das Alles hat nicht nur die Geschichte gefeiert, die Religion verherrlicht; es war auch stets die höchste Aufgabe der Kunst in Dichtung, Malerei und Plastik. – Ja es waltet ein höherer Segen, ein dem Jenseits entsprossener, vom Weltschöpfer gesegneter, im Walten der Mutter; die Welt ward erst vollkommen durch Mutterliebe, durch Muttervorbild und Mutterlehre. Wer reines Herzens ist, neigt sich in Ehrfurcht vor dieser Fülle von Pflichten, Opfern und Gefühlen; wer diesem Reichthume huldigt, veredelt sich! Das schönste Bild ist eine Mutter im Kreise der blühenden Kinder, denen sie das Leben gegeben, die sie für die Welt erzogen und für das unbekannte heilige Jenseits vorbereitet hat. In ihrer Nähe weht der Odem des Göttlichen, die irdische Vollendung taucht sie in ihre Lichtstrahlen, der Glaube, die Hoffnung und die Liebe wandeln in ihrem Gefolge.
B.
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.