- Agnes Sorel
Agnes Sorel, insgemein die Schönste der Schönen genannt, verdiente nach allen Schriftstellern ihrer Zeit, die ihrer erwähnen, diese überschwengliche Benennung mit vollem Rechte. Sie wurde im Jahre 1409 geboren, und entwickelte neben den unwiderstehlichsten persönlichen Reizen, auch einen so seinen Verstand und eine so edle Denkungsart, daß sie von Jedermann, der ihr zu nahen Gelegenheit hatte, bewundert und geliebt wurde. Im Gefolge Isabellens von Lothringen, Herzogin von Anjou, kam sie im Jahre 1431 als Ehrendame derselben zuerst an den französischen Hof, wo ihre, durch alle Grazien geschmückte Erscheinung, in König Karl VII. die feurigste Leidenschaft erweckte. Weder Ehrgeiz noch Habsucht, sondern wahre Liebe bewog sie, nach längerem Kampfe mit sich selbst, seine Geliebte zu werden, und sie wußte diesen auffallenden Schritt durch ein so bescheidenes, sanftes und verständiges Benehmen zu versöhnen, daß selbst Karl's Gemahlin ihr nicht zürnen konnte, sondern ihr Achtung und Zutrauen bewies. Sie allein vermochte durch die stille Gewalt ihres Geistes und ihrer Schönheit den von Natur tapferen, aber vom Mißgeschicke ermüdeten und gleichgiltig gegen seinen Standpunkt gewordenen König zu dem Gefühle wahrer Ehre und Pflicht zu erwecken. Sie feuerte ihn an, muthig gegen die Engländer zu kämpfen, welche damals fast die Hälfte Frankreichs erobert hatten, und der günstige Erfolg ihrer Rathschläge erwarb ihr immer mehr das Vertrauen ihres Geliebten, sowie die Achtung der Nation. Niemals aber mißbrauchte sie das Ansehen, das sie durch ihre trefflichen Eigenschaften sich erworben hatte, sondern suchte durch Demuth, Wohlthätigkeit und Milde ihr besseres Selbst, sowie die Welt über ihre zweideutige Lage zu beschwichtigen. Im Jahre 1445 zog sie sich nach Loches zurück, wo sie ein Schloß besaß, das der König für sie hatte bauen lassen. Außerdem schenkte er ihr noch die Herrschaften Roche Servière und Issoudun in Berry und das Schloß Beauté an den Ufern der Marne, von welchem sie, nach dem Willen des Königs, den Titel: Dame de Beauté führen mußte. Hier lebte sie fünf Jahre, stets in dem innigsten Verhältnisse mit dem Könige, der sie oft besuchte, und, wenn er von ihr entfernt sein mußte, durch Briefwechsel mit ihr fortlebte. Da lud sie die Königin wieder an den Hof ein, wo Agnes zwar erschien, aber nicht, um zu bleiben. Denn obgleich sie dankbar den huldreichen Empfang anerkannte, der ihr wurde, so sagte doch das Geräusch des Hoflebens ihr nicht mehr zu. Sie zog jedoch, um dem Könige und der Königin näher zu sein, in das Schloß Masnal-la-Belle, wo sie im Jahre 1450 so plötzlich starb, daß der Verdacht einer Vergiftung, der auf ihren letzten Stunden ruht, nicht ganz unwahrscheinlich ist. Man wagte es, den Dauphin, nachmaligen König Ludwig XI. einer solchen Frevelthat fähig zu halten, da er fast der Einzige war, auf den Agnes herzgewinnende Anmuth und Güte keinen Eindruck machte, was er oft laut und roh genug aussprach. Es liegt jedoch ein unbestimmtes, räthselhaftes Dunkel über der Ursache ihres so schnellen Hinscheidens; das aber ist gewiß, daß sie bis zu ihrem letzten Augenblicke die Liebe des Königs und die Freundschaft seiner Gemahlin besaß.
A.
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