Orsini, Anna Maria, Herzogin von

Orsini, Anna Maria, Herzogin von

Orsini, Anna Maria, Herzogin von, Anna Maria, Prinzessin von, jene berühmte Frau, die, wie einer ihrer Zeitgenossen sehr wahr sagt, »einen unermeßlichen, weit über ihr Geschlecht und der Menschen gewöhnliches Getreibe hinausreichenden Ehrgeiz« nährte, geb. 1640, war die Tochter Ludwig's von la Tremouille, Herzogs von Noirmoutier, und seit 1659 mit dem Prinzen von Chalais vermählt. Dieser starb schon 1670 und erst durch die im Febr. 1675 vollzogene zweite Verbindung mit Flavio Orsini, Herzog von Bracciano, gewann die ränkevolle Frau Raum zur Entwickelung ihrer meisterhaft angelegten politischen Intriguen. Obgleich wegen Uneinigkeit mit ihrem Gemahl häufig von Rom abwesend, wußte sie doch bald einen solchen Einfluß auf die Regierung und äußern Verhältnisse des Kirchenstaats zu gewinnen, daß selbst der allmächtige Ludwig XIV. es zu Zeiten nicht verschmähte, ihre Vermittlung anzurufen. 1698 starb auch ihr zweiter Gatte, dessen bedeutendes Vermögen sie größtentheils verschwendet hatte, und jetzt begann der Prinzessin Rom zu klein für ihre Herrschsucht zu werden. Ludwig XIV. suchte nach der Vermählung seines Enkels Philipp V. von Spanien mit der Prinzessin von Savoyen für diese eine Camarera major und schlau lenkte die Orsini die Aufmerksamkeit auf sich, gab aber erst nach mehreren Vorstellungen den Befehlen des Königs nach, um sich dadurch freier von seinem Einflusse zu erhalten. In Nizza wurde sie der jungen Königin vorgestellt und die ihr eigene Gabe zu gefallen, die hohe Anmuth ihres Benehmens, ihre natürliche und darum um so hinreißendere Redekunst, und endlich ein ausgezeichnetes Gefühl für das Schickliche, gewannen ihr sehr bald das Herz der unerfahrnen, aber eitlen und ehrgeizigen Fürstin. Schon in den ersten Stunden war die Herrschaft über die Königin und durch diese über Philipp V. begründet, die, immer wachsend, nur mit dem Tode der ersteren enden sollte. Kaum in Madrid angekommen, übernahm die Orsini die Zügel der Regierung, widersetzte sich aber den Wünschen Ludwig's XIV. so kühn, daß dieser sie 1704 zurückrief. Inzwischen stieg das Mißvergnügen der Königin von Spanien wegen Entfernung ihrer Camarera in solchem Grade, daß dadurch die enge Verbindung mit Frankreich gefährdet wurde; Ludwig versöhnte sich deßhalb mit der Orsini und im Juli 1705 kehrte sie nach Madrid zurück. Außerordentlich war die Freude, mit der sie empfangen wurde; König und Königin fuhren ihr entgegen und überhäuften sie mit Liebkosungen, und von Neuem wurden ihrer zuversichtlichen Hand die Ruder des Staats anvertraut. Der spanische Erbfolgekrieg nahm damals für Philipp V. eine unglückliche Wendung; fast ganz Europa focht den Prätendenten Karl von Oestreich, und Frankreich, selbst von allen Seiten angegriffen, konnte nur geringen Beistand leisten. In dieser gewaltigen Krisis entwickelte die Orsini einen Muth, der nicht wenig dazu beitrug, den ihrer Gebieter zu wecken. Mit Recht hat man ihre Verwaltung angegriffen, aber jenes Verdienst um die Bourbons kann ihr Niemand rauben; ohnehin machte die verzweifelte Lage, in der man sich befand, jeden Gedanken an eine Verbesserung im Innern unmöglich. Die große Aufgabe war es, sich zu behaupten. Philipp V. schenkte ihr damals als Zeichen seiner Dankbarkeit das Fürstenthum la Roche in den Niederlanden, allein Ludwig XIV., mit dessen Agenten sie fortwährend in Streit lag, nahm darauf beim Abschluß des Friedens von Uetrecht keine Rücksicht. Im Februar 1714 starb Philipp's Gemahlin, und nun war die Orsini des Königs einziger Trost. Er schloß sich mit ihr ein, sah und sprach nur sie. Bald vermochte sie ihn aber zu einer zweiten Verbindung mit Elisabeth Farnese, Prinzessin von Parma, die ihr als sanft, nachgiebig, furchtsam, und darum geeignet ein Joch zu ertragen, geschildert war. Zu spät erfuhr sie das Gegentheil. Gleich bei der ersten Zusammenkunft, am 23. December 1714, ließ Elisabeth die 70jährige Orsini ergreifen, in einen Wagen werfen und ohne Aufenthalt über die Pyrenäen bringen. Dieser Plan war wahrscheinlich hinterm Rücken des schwachen Philipp mit Ludwig XIV. verabredet. Alle Versuche zur Rückkehr mißlangen, selbst der Aufenthalt in Frankreich wurde ihr verweigert. Sie ging nach Rom und hätte hier mit Hilfe der behaltenen bedeutenden spanischen Pensionen, ein sorgenfreies, ruhiges Leben führen können; allein an die Unruhe der Höfe und Geschäfte gewöhnt, konnte sie sich trotz ihres hohen Alters nicht zu gänzlicher Unthätigkeit verstehen. Sie fand Eingang bei Jacob III., dem engl. Prätendenten, regierte seinen kleinen Hof und erhielt die Ehre desselben bis zu ihrem, am 5. December 1722 erfolgten, Tode aufrecht. – Die häufig angefeindete, oft verkannte Prinzessin besaß einen mächtigen, seinen und keineswegs unangebauten Geist, eine seltene Fähigkeit zu Geschäften und eine Charakterstärke, die selbst bei Männern ungewöhnlich ist. Von heftigen Leidenschaften beherrscht, haßte sie unversöhnlich und hegte oft ungerechte Vorurtheile. Wie viele Feinde mußte aber auch eine Frau haben, die dem Throne so nahe stand, ihre Gebieter wie den Hof beherrschte, Minister, Generale und Gesandte ernannte und nach Belieben lenkte. Sie allein erhielt den schwachen Philipp auf dem Throne, und es war unbillig, daß dieß die Bourbons so schnell vergaßen.

S.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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