- Ritterwesen
Ritterwesen. Das Ritterwesen im Mittelalter nach seinen verschiedenen Richtungen ist ein so ausgedehntes Gebiet für die Forschung, daß es unmöglich ist, anders, als nur andeutend in den enggezogenen Grenzen dieses Werkes davon zu reden. Es ist anzunehmen, daß dasselbe unter Karl dem Großen aufzublühen begann, zu Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts auf dem Gipfel der höchsten Blüthe stand, zur Zeit der Reformation zu sinken begann, im 30jähr. Krieg erlosch. Drei Standpunkte sind es vorzüglich, von welchem aus das R. zu betrachten und kennen zu lernen ist: der politische, der kriegerische und der häusliche. In politischer Beziehung war der Edle Vasall eines Lehensherrn, des Kaisers, eines Königs, eines weltlichen oder Kirchenfürsten etc., von dem er seine Besitzungen zu Lehen trug. Diese Lehen mußten bei einem Todesfall erneuert werden, erbten in der Regel nicht auf die weiblichen Linien fort, und konnten von dem Lehensherrn zurückgenommen werden. Für den Mißbrauch der Lehengüter war der Edle den Oberherrn dienstpflichtig; er mußte mit einer bestimmten Anzahl Reisigen zu Fuß und Roß wohlausgerüstet Heeresfolge leisten, wenn das Aufgebot erscholl. Die Ritterwürde war weder mit dem Adel verbunden, noch war sie erblich, sie mußte erworben werden, sie war ein Ehrengut, nach welchem jeder Edle strebte durch eine tapfere That im Kriege, und bestand in Ertheilung des Ritterschlags und des goldenen Sporen durch den Lehensherrn unter großen Feierlichkeiten. Zum Ritter konnte auch ein Bürger geschlagen werden; die Ritterwürde verlieh den Geburtsadel so wenig, wie dieser jene. Da aber der Besitz dieser Würde die höchste Ehre war, so strebte jeder Freigeborne nach deren Erlangung, und es bildete sich allmälig der chevalereske Geist aus, der als Blüthe des Ritterwesens anzusehen ist. Es war eine Hauptverpflichtung des Ritterthums, Religion und Tugend, Sitte und Heldenthum aufrecht erhalten zu helfen, die Frauen zu ehren und zu schirmen Witwen und Waisen zu vertheidigen, Unterdrückten beizustehen. Die Religion nahm die Hilfe der Ritterschaft gegen die Feinde des Christenthums, gegen die Sarazenen, in deren Händen das heilige Grab war, in Anspruch, und die Kreuzzüge entstanden; der Frauendienst wurde zur zartesten Verehrung, die Minne ging mit der Ehre Hand in Hand, es entstanden Liebeshöfe, Minnegerichte, und die ritterlichsten Männer wurden zu Dichtungen begeistert, in denen sie Minne und Frauenhuld feierten; so ist auch der Minnesang eine der schönen Blüthen des Ritterwesens. Der edel-freie Jüngling suchte an Kaiser- und Fürstenhöfen die Sporen zu verdienen, und übte sich dort in Frauen-, Hof- und Waffendienst als Edelknecht; oder gesellte sich dem Gefolge eines mannhaften und berühmten Ritters als Knappe zu. Waffenübung von Jugend auf war nöthig, um sowohl für den Kriegsdienst tauglich zu werden, als auch in Turnieren mit Ehre zu bestehen. Die schweren Rüstungen, die wir noch in unsern Zeughäusern und Waffensammlungen anstaunen, trug der Ritter nicht zum Vergnügen und täglich, sondern nur bei Turnieren und Zweikämpfen. Die ganze Rüstung bestand aus dem Helm, der Halsberge oder dem Ringkragen, dem Brust- und Rückenharnisch, den Arm- und Beinschienen, den Handschuhen, und der untern Fußbekleidung, welche nicht stets von Eisen war, aber zu einer vollständigen Rüstung gehörte. Ost trug man auch ein Panzerhemde. Dazu führte der Ritter Schild und Lanze, oder das gewaltige Faustschwert. Zu den ritterlichen Waffen gehört auch noch der Morgenstern, eine Streitkolbe mit Stacheln, oder ein Streithammer; zu den Jagdwaffen verschiedene Arten von Spießen, Armbrüsten, Bolzenpfeilen. Ein rechter Kampfheld mußte sich in voller Rüstung auf das Streitroß schwingen können, das in der Regel am Kopf und Hals geharnischt war. Die Harnische mußten von den Harnischmachern, die ein eigenes Gewerb bildeten, ebenso angemessen werden, wie unsere Kleider. Ost wurde großer Fleiß auf Zierathen, Gravirungen etc. verwendet. In der Regel war die Rüstung von Stahl, selten von Silber, noch seltner ganz vergoldet; die stählerne war entweder blau, oder schwarz, oder blank, oder auch schwarz mit blanken Streifen; bisweilen, doch selten, geschuppt. Das Leben des Ritters war getheilt zwischen Krieg und Fehde, Waidwerk und Abenteuern, doch glaube keine Leserin, daß es so war, wie es unsre Ritterromane schildern. Gewiß brachten die Ritter ihre Zeit nicht stets am vollen Humpen hin, wenn sie auf ihren Burgen weilten, und waren zum Theil wenigstens nicht halb so roh, als diejenigen, die deren Leben meist als ein rohes, wüstes und sittenloses schilderten. Die Wohnungen der Edeln und Ritter waren fast immer auf Bergen gelegen, und hießen Burgen. Diese wurden so fest als möglich angelegt, um gegen Ueberfälle, Räubereien u. dergl. möglichst sicher zu sein; sie dienten nicht nur dem Ritter, sondern in bedrohlichen Zeiten auch seinen Hörigen zum Schutz, zumal in den wilden Zeiten des Faustrechts. Die Burg bestand gewöhnlich aus einem Hauptgebäude, welches in den untern Stocken Küche, Vorrathskammern und Stallungen, in den obern die Wohnzimmer und sonstigen Gemächer der Familie, und noch höher die Schlafgemächer der meist zahlreichen Dienerschaft enthielt. Je nachdem der Besitzer reich und begütert war, war auch seine Wohnung räumlich oder beschränkt, und bei dem Anblick der Trümmer mancher Burgen muß man sich in der That wundern, wie äußerst eng und genügsam oft eine solche Familie wohnte. Um dieses Haus, oder mit diesem in Verbindung, zog sich eine einfache oder doppelte Ringmauer, und um diese ein Wallgraben, über welchen eine Zugbrücke führte Mehrere Thürme und Thürmchen zierten Burg und Mauern, ein Wartthurm überragte in der Regel die übrigen, und diente oben als Lug ins Land, unten als Verließ. Sehr häufig findet man auch am Fuße der Burgberge Vorwerke; diese hießen Kemnaten, Kemnoten, und dienten theils zum Schutz der Burg, theils zum Aufenthalt der Dienstmannen und Landbauern. In großen Burgen fehlte es nicht an Prachtsälen, Prunkgemächern, Waffenkammern, mit denen großer Luxus getrieben wurde, häufig auch Kapellen, und in der Regel wohnte dann ein Weltgeistlicher als Burgkapellan mit auf der Burg. In der Burg waltete nun sittig und achtsam die Herrin, die Gemahlin des Ritters mit ihren Töchtern, und es gab der Beschäftigung genug für die an Thätigkeit gewöhnte deutsche Hausfrau. An der Kunkel, am Webstuhl, am Stickrahmen, am Heerd, im Garten, überall bot sich nützlicher Zeitvertreib, und die Feierstunden füllte wohl Gesang und Gespräch, ein Kirch- oder Spaziergang, ein Legendenbuch, oder die Uebung einer schönen Kunst aus. Schon das meist sehr zahlreiche Gesinde heischte eine ernste Aufsicht, und die Leitung eines Haushaltes, wie eine große Burg sie erforderte, war nicht leicht. Es mußte den Ritter, für die Kinder, für die Knappen, die Jäger, den Vogt, die Pferdeknechte, die Wächter, die Jungen, die Hundewärter, für Küchen-. Vieh- und Scheuermägde gesorgt werden; es galt Pferde, Kühe, Hunde, Falken, oft auch wildes Gethier zu unterhalten, da solches zu besitzen zum Luxus der Zeit gehörte. Bären, Wölfe, Füchse, Adler, Eulen anzutreffen, war etwas Gewöhnliches Manche hielten Löwen, Leoparden u. dergl. zur Luft und Unterhaltung. Gastlichkeit, diese Kardinaltugend der deutschen Vorzeit, wurde im vollen Maße geübt, daher waren die Burgen der Reichen nicht leer von Besuchenden, und Pilger, fahrende Schüler, Gaukler, Krämer, Spielleute, Sänger etc. sprachen oft ein, und durften nicht wohl abgewiesen werden; ein Zehrpfennig, ein Trunk, ein Imbiß, ein Nachtlager war das Wenigste worauf Anspruch gemacht werden und was nicht wohl verweigert werden konnte. Darüber verarmte auch mancher Edle, und Mancher, der nichts besaß, wurde zum Raubritter, lauerte allein oder in Verbindung mit gleichgesinnten Genossen reisenden Kauf- und Handelsleuten auf, nahm ihr Gut, oder fing sie selbst, und ließ sie nur gegen Lösegeld frei, brandschatzte wohl auch mitunter ein Dorf oder eine Stadt, und plünderte ein Klösterlein. Solche Thaten blieben jedoch in der Regel nicht lange ungerächt, und die Stegreifritterschaft nahm meist ein trübseliges Ende. Die Städter, stark durch Eintracht, wehrten sich, und nahmen manche Burg mit Sturm, deren Besitzer sie geschädigt hatte; dem Räuber und Verbrecher drohte des Kaisers Acht und Bann, und der Fluch der Kirche, wozu oft auch noch der am meisten gefürchtete Rachestrahl des heimlichen Gerichts, der Vehme, kam, die allkundig im Verborgnen wachte, richtete und rächte. Um gegen lehensherrliche Gewalt, und gegen die Städter, eine kräftige Wehr zu bilden, einigten sich oft die Ritter ganzer Länder zu großen Schutz- und Trutzbündnissen, so die Bünde der Sterne, der Sitticher, der Falner, der Löwenbund und viele andere. Diese Bündnisse legten den Grund zu dem nachherigen Ordenswesen, durch das äußerliche Abzeichen, das alle Verbundenen tragen mußten. Nach der Erfindung des Pulvers gewann das deutsche Kriegswesen eine ganz veränderte Gestaltung, und da dieses mit dem Ritterwesen unzertrennlich verschmolzen war, mußte auch dieses eine Reform erleiden. Die Burgen hörten auf unbezwingliche Schutzwehren zu sein, der Bürgerstand und der Flor der Städte hob sich immer mehr, der Adel zog sich selbst in die Städte, welche der Sicherheit sowohl, als der Lebensfreuden durch Feste und Kurzweil aller Art mehr boten, als die einsamen Burgen; man trug Rüstung und Harnisch mehr zum Prunk als zur Wehr, und legte sie endlich ganz ab. Die Feder trat häufig an die Stelle des Schwertes, es brachte größere Ehre durch Gelehrsamkeit und durch Humanität zu glänzen, als durch die Thaten der Faust, und die alles umgestaltende Zeit wandelte sichern und festen Ganges den Weg der Civilisation, und wandelte das Ritterwesen so unmerklich und allmälig um, daß wir es jetzt nur als etwas längst Vergangenes betrachten, und uns an seinen Glanz mit geschichtlich-forschendem Blick immer noch erfreuen können, ohne seine großen Schatten zu verkennen. –ch–
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