- Russland (Poesie und Literatur)
Russland (Poesie und Literatur). (Poesie und Literatur.) Mit prophetischem Munde erklärte Peter der Große, daß seinem Reiche zur wahren Größe nichts fehle als das Meer und die Sonne. Der Ocean mußte sich bald seinem Scepter beugen, und die Sonne der höhern Volkskultur, welche zuerst unter ihm die Nacht der Barbarei erhellte, sollte binnen Kurzem ihren segensreichen Einfluß auch auf die Bildung der russ. Sprache äußern, die, im Vorzug vor ihren slavischen Schwestern, die edelsten Keime einer kräftigen Blüthe in ihrem reichen Schooße bergend, doch bisher außer mehreren lieblichen Volksliedern und dem trefflichen Heldengedichte »Igor« nichts Bedeutendes an ächter Poesie aufzuweisen hatte. Peter war es, der zuerst die russische Sprache zur Geschäfts- und Schriftsprache erhob; unter seiner Regierung wurden Bildungsanstalten errichtet, der Kunstsinn erweckt, die besten Werke der Deutschen, Franzosen und Holländer übersetzt, und so der erste Grund zu einer Nationalliteratur gelegt, welche Männer, wie der originelle Satyriker Kantemir, die Historiker Chilkow und Sallij, und der um die russ. Verskunst verdiente Trediakowskij würdig eröffneten. Unter seiner Tochter Elisabeth, welche die Wissenschaften und Künste als die schönste Zierde ihres Hofes betrachtete, namentlich aber unter der großen Katharina, deren Adlergeist Peter's Riesenpläne mit entschiedener Energie umfaßte, kam in die russ. Literatur mehr Selbstständigkeit und eine freiere Geistesregung. Vor Allem band ihr Wasiljewicz Lomonosow (starb 1765) die Fittige los, die man ihr aus Unwissenheit gefesselt hatte, und er gilt nebst dem Dramatiker Sumarokow (starb 1777) mit Recht für den Vater der neueren russ. Literatur; denn unübertroffen als Lyriker, schrieb er zuerst eine reine, ächte Prosa. Zu gleicher Zeit erschienen eine Menge gelungener Uebersetzungen ausländischer Werke. Ein russ. Theater war schon 1746 in Jaroslawl, ein anderes später zu Moskau und Petersburg entstanden. Cheraskow schrieb seine gern gelesenen Erzählungen und lyrischen und dramatischen Gedichte; Bogdanowicz die romantische Lieblingsdichtung der Nation: »Duszenka.« Immer reicher quoll jetzt der goldene Born. Chemnicer erschien, der liebliche Fabeldichter, der treffliche Prosaist und Lustspieldichter Iwanowicz von Wizin, der zartgemüthliche Lyriker Kapnist, und endlich der wahre Repräsentant der Dichtkunst dieser Zeit: der durch seine lyrischen, didaktischen und dramatischen Versuche unsterbliche Derszawin. Der edle Czar Alexander errichtete 1802 ein eigenes Ministerium für die Nationalliteratur. Karamsin trat mit seiner »Geschichte Rußland's« auf und feilte mit gewaltiger Meisterhand an dem rohen Marmor der Prosa; Krylow erwarb sich durch seine Fabeln den Ruf eines neuen Aesop; Bulgarin führte mit Glück den historischen Roman ein; die dramatische Kunst folgte mehr fremden Mustern, machte jedoch ebenfalls bedeutende Fortschritte; Dmitrijew vereinigte zuerst Tiefe der Idee mit der Correctheit des Ausdrucks, und gab durch seine Satyren, Episteln, Erzählungen, Lieder und Epigramme der russ. Poesie die bleibende Form. Und was er gegründet, vollendeten die leuchtenden Dioskuren: Szukowsky, (»Sämmtliche Werke« Petersb. 1824) und Puschkin (s. d.). Als Dichterin machte sich rühmlich bekannt: Anna Petrowna Bunina. Bulgarin aber sagt von dem jetzigen Zustande der russ. Literatur: »Gegenwärtig beruht alle Hoffnung auf der Zukunft. Die Geister scheinen gleichsam im Uebergang, im Abschütteln des Alten begriffen, und eine Vereinigung mit dem Nationellen abzuwarten. Dann wird sich ein neues weites Feld für die geistige Thätigkeit eröffnen.«
S....r.
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