Berlin

Berlin

Berlin, die Hauptstadt des Königreichs Preußen, hat 7200 Wohnhäuser und 260,000 Einwohner, 224 Straßen, 20 öffentliche Plätze, 31 Kirchen, 36 Brücken, 103 Fabriken, 500 Brunnen etc. Die merkwürdigsten Gebäude sind: das königl. Schloß, die Palais des Königs, der Prinzen Wilhelm, Karl, Albrecht, August; das Opernhaus, das Schauspielhaus, das Museum, die Universität, das Zeughaus, die Akademie, die Bibliothek, das Invaliden- und Cadettenhaus, die Artillerie- und Ingenieurschule, die Börse, das Seehandlungsgebäude, die Bank, das königstädter Theater etc. Die schönsten Straßen sind: die Linden, die Friedrichs-, Königs-, Leipziger- und Lindenstraße; unter den Plätzen zeichnet sich der Opernplatz, der Gensdarmenmarkt, der Wilhelms-, Alexander-, Dönhofs- und Schloßplatz etc. aus. Die merkwürdigsten Kirchen sind die Domkirche, die neue Werdensche und die katholische. Alle Straßen und Plätze sind frei, die Häuser nicht unverhältnißmäßig hoch, die Paläste elegant und geschmackvoll erbaut. Die Zierde der prachtvollen Linden ist das großartige brandenburger Thor. Berlin hat eine große Anzahl von Kunst-, wissenschaftlichen- und wohlthätigen Anstalten. Von öffentlichen Vergnügungsorten sind der Thiergarten, das Tivoli, das Elysium und das Coloseum zu nennen. Entferntere Spaziergänge sind Charlottenburg, Stralau, Treptow etc. Der Handel ist beträchtlich, ebenso das Fabrik- und Manufakturwesen. – Berlin hat als große Stadt auch einen großstädtischen Charakter, nur erscheinen nicht ungeheurer Reichthum und schreiende Armuth so schroff als Gegensätze neben einander, wie in andern Hauptstädten. Alles athmet den wohlthuenden Geist einer allgemein wachsenden Wohlhabenheit, eines schönen Bürgerthumes. Berlin ist der Mittelpunkt der modernen germanischen Kultur, des wissenschaftlichen Aufschwungs. Der Berliner ist in der Regel ein geborner und häufig auch ein erzogener, wo nicht verzogener Kritiker. Er ehrt und fördert die Wissenschaft, er liebt die Kunst, er betet sie an; aber er liebt sie oft mehr, um darüber zu sprechen, sein Wissen und seinen Scharfsinn daran üben zu können. Er liebt das Vergnügen, aber nicht vorzugsweise das öffentliche (das Theater ausgenommen). Nur das gemeine Volk gefällt sich in öffentlichen rauschenden Vergnügungen. Der gebildete Berliner fühlt sich am wohlsten im Kreise seiner Familie, der eng abgeschlossenen Freunde und Bekannten, der laut und still verbrüderten Genossenschaft bei Scherz, Tanz, Kunstgespräch; daher die ästhetischen Thees. Er verehrt, oft nicht ohne Vorurtheil das Einheimische und ist zuweilen ungerecht gegen das Fremde, aber er freut sich herzlich der fremden Anerkennung, wenn sie ihm zu Theil geworden und offenbart dann mit Liebenswürdigkeit seine herzlichen Seiten. Er ist in der Regel häuslich, ernst, männlich, decent, mäßig. – Die Hauptzierde dieser an sich erfreulichen und edlen Geselligkeit bilden die Frauen und Mädchen Berlins. Regelmäßige Züge finden sich bei den Berlinerinnen häufig, schlanker, edler Wuchs zeichnet sie aus. Hände und Füße sind nicht unverhältnißmäßig groß. Der Teint ist rein, mehr weiß als rosig, mehr blaß als schimmernd und durchsichtig. Alles athmet Anstand und Decenz an der Berlinerin: Haltung, Gang, Bewegung. Sie ist oft graziös, elegant in ihrer Erscheinung, liebt die Mode, ohne darin immer gewählt genug zu sein; sie ist gebildet, wißbegierig, spricht gern, oft munter, lebhaft, zuweilen recht tiefsinnig und gelehrt über Kunst und Wissenschaft. Alle Berlinerinnen sind Damen und machen sich als solche geltend. Sie sind fromm, besuchen gern die Kirche, doch muß der Prediger gut predigen und ästhetisch genügen. Die Zahl der mystisch-pietistischen Damen ist nicht unbedeutend; doch wirken sie nur selten störend auf die edlere Geselligkeit ein. Die Berlinerin liest Viel, nicht immer mit Auswahl. Sie ist stolz, eine Berlinerin zu sein, weil sie überzeugt zu sein glaubt, daß sich in ihrer Vaterstadt Aufklärung, Wissen, Geschmack und Bildung auf einer solchen Höhe der Vollendung befinden, wie nirgends anders. Sie ist durchdrungen von dem schönen christlichen Gefühle der Wohlthätigkeit, der Milde, der Selbstaufopferung. Sie spart oft, um mildthätig sein zu können; es ist dieß keine Ostentation, sondern Tugend. Sie sind häuslich, wirthschaftlich, sorgfältig in Küche, Keller und Waschkammer. An der edlen Thätigkeit und Resignation der Frauen erblüht der Wohlstand der meisten berliner Familien. Freier, und weniger ängstlich, gibt das berliner Mädchen sich allen geselligen Freuden hin, als dieß anderwärts üblich ist; aber ernster und würdiger zieht sie als Frau in den Kreis ihres Berufes und ihrer Pflichten sich zurück. Der Name einer berliner Hausmutter ist der schönste Ehrentitel einer deutschen Frau. Der Hof in Berlin lebt Allen ein Muster in häuslichen Tugenden, in Familienfreuden, in edler, einfacher Behaglichkeit, im Genuß der Kunst und ihrer unversiegbaren Schätze. – Hat sich das uralte Vieleck der Rangordnung und Titelsonderung am Geiste unserer Zeit vollens zur Kugel abgerundet und polirt, so sind alle Elemente vorhanden, um Berlin zu einer wahrhaft großen Stadt, zu einer Stadt der edelsten Lebensgenüsse, der freiesten, geistigen Bewegung, zu einer Stadt der Notabilitäten, wie es keine Andere sein kann, zu erheben.

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http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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