- Minnehöfe
Minnehöfe. Diese berühmten Gerichte in Sachen der Liebe entstanden zuerst in dem Arkadien des süßen Minnesangs, in der Provence, fast gleichzeitig mit den provençalischen Minnesängern, den Troubadours. Für die competentesten Richterinnen in Angelegenheiten des Herzens galten von jeher die zartsinnigen und tiefempfindenden Frauen, daher es natürlich war, daß ihnen das ehrenvolle Amt, in solchen Fällen zu entscheiden, willig zugestanden wurde. Bisweilen warfen die Sänger selbst verfängliche Fragen auf, z. B.: Was härter sei, ob die Geliebte treulos werde, oder ob sie sterbe? u. dergl., oder es kamen auch wirkliche und ernstgemeinte Klagen vor, die dann mit aller Wichtigkeit verhandelt und abgeurtheilt wurden. Die Minnegerichte bildeten sich in Frankreich sehr systematisch aus, sie wurden Hoffeste, und eine Zeit lang machten sie sich bei den ritterlichen Uebungen der Großen ganz unentbehrlich. Ritter, Dichter und Damen nahmen an ihnen den thätigsten Antheil, und man hat ganze Sammlungen der schiedsrichterlichen Aussprüche dieser Minnehöfe, die man Cours d'amour nannte. Sie wurden an bestimmten Plätzen feierlich abgehalten; die höchsten und angesehensten Personen waren Mitglieder und führten den Vorsitz; auf diese folgten Grands Veneurs de la Cour, diesen die Trésoriers de Chartres et registres amoureux, dann die Auditeurs de la Cour amoureuse. Diese bildeten in den ganz parlamentarisch geführten Verhandlungen gleichsam das Oberhaus; dann kamen die Chevaliers d'honneur, die Räthe des Minnegerichts, sämmtlich von Adel, dann die Chevaliers trésoriers und die Maltres de requêtes de la cour amoureuse etc. Die Orte, wo Minnehöfe zuerst ihren bestimmten Sitz hatten, waren Signes, Avignon, Lille, Pierrefeu. Man behielt diese Sitte lange bei, und Karl VI. und seine Gemahlin Isabelle von Baiern hielten noch einen feierlichen Minnehof. Später erneuerte man sie, als längst die schöne romantische Zeit des Minnegesangs vorüber, und einem sinnlichen, üppigen und schwelgerischen Hofleben gewichen war, aus Luft an Prunk und Glanz, um eine Unterhaltung mehr zu haben. So Richelieu unter Ludwig XIV. zu Ruelle, wobei die Prinzessin Maria von Gonzaga (s. d.) präsidirte, und das Fräulein von Soudey den Generaladvokaten vorstellte. In Deutschland ist der Gebrauch der Minnehöfe nie üblich geworden; der deutsche Charakter liebte dieß zur Schau stellen der heimlichsten und beglückendsten Gefühle, dieß offene Bekennen und offene Richten der Vergehungen in Herzensangelegenheiten nicht. Um aber unsere Leserinnen in den Stand zu setzen, Schiedsrichterinnen in Fragen, die Liebe aufwerfen kann, zu werden, wollen wir denselben drei solche Fragen zur Entscheidung hier vorlegen, die mit Ernst bedacht und betrachtet sein wollen. Wer leidet mehr, ein Mann, dem seine Frau, oder ein Liebender, dem die Geliebte untreu wird? – Wer ist tadelnswerther, der, welcher sich Gunstbezeugungen von einer Dame rühmt, die er niemals empfing, oder der, welcher wirklich empfangene Gunstbezeugungen ausplaudert? – Wenn einem Liebenden, der eine Dame zärtlich liebt, die unerbittlich streng gegen ihn ist, und seine Liebe verschmäht, eine andere liebenswerthe Dame schätzt und ihr Herz ihm zuwendet, was soll der Liebende thun? Soll er die Strenge verlassen und Liebe finden, wo ihm Liebe entgegenkommt, oder soll er willfährige Liebe verschmähen und treu ausharrend der unerbittlichen Geliebten ferner dienen?
–ch–
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.