Oestreich (Geschichte)

Oestreich (Geschichte)

Oestreich (Geschichte). (Geschichte.) Wie im zarten Knabenalter so oft die Keime zu künftiger Größe verborgen schlummern, kein äußeres Zeichen den gewaltigen Genius verräth, berufen, mit ehernem Zügel Millionen an seinen Willen zu fesseln oder durch die Allmacht des Geistes zu beugen, so war auch das heutige Oestreich, jetzt mächtig und stark, gleichsam der eherne Leib des europäischen Staatengebietes, einst ein schwaches, machtloses Kind, dessen Wiege in den Gauen ob und unter der Ens stand. Jenes Land von den Römern in Pannonien und Noricum getheilt, wurde zum Theil von diesen, zum Theil von den Markomannen und Quaden, die fortwährend mit den Welteroberern kriegten, bewohnt, bis die Völkerwanderung alle Verhältnisse änderte. Vandalen, Gothen, Hunnen, Longobarden und Avaren verdrängten sich im 5. und 6. Jahrh. wechselsweise, bis es 791 Karl d. Gr. eroberte und zur Markgrafschaft erhob, welche die östlichste Provinz des deutschen Reichs bildete und nur kurze Zeit Ungarn angehörte. Von 982–1246 herrschten hier die Grafen von Babenberg, erst als Markgrafen, dann als Herzoge von Oestreich. Dieß tapfere Geschlecht erwarb (1192) Steiermark und (1226) einen Theil Krains, verschönerte Wien und erbaute die noch heute von O's Kaisern bewohnte alte Burg. Sein letzter Sprosse, Friedrich II. der Streitbare, fiel 1246 in einer Schlacht gegen die Ungarn, worauf mehrere Prätendenten auftraten, unter denen der mächtige Ottokar von Böhmen sich von den Ständen zum Herzog wählen ließ. Verblendet durch seine Macht, wagte er dem deutschen Kaiser Rudolph von Habsburg zu trotzen, doch dieser siegte und gab, nachdem Ottokar 1278 in der Schlacht auf dem Marchfelde getödtet worden war, die östr. Länder seinen Söhnen Albrecht und Rudolph (1282), und somit beginnt die Reihe der Habsburgischen Regenten und mit ihnen O's Größe. Albrecht, zugleich deutscher Kaiser, fiel bei Rheinfelden (1308) durch das Schwert seines Neffen Johann von Schwaben. Friedrich der Schöne, der dritte Habsburger, ist durch die Treue für sein dem Nebenbuhler um die Kaiserkrone, Ludwig von Baiern, gegebenes Wort mit Recht seit Jahrhunderten gefeiert. 1335 fiel Kärnthen und 1359 Tirol an den immer kräftiger aufblühenden Staat. Maximilian I. erwarb (1477) die Niederlande, beschützte Wissenschaften und Künste, und war der tapferste Fürst, oder, wie A. Grün treffend sagt, der letzte Ritter seiner Zeit. Bis 1740 herrschten nun ununterbrochen die von Friedrich III. zu Erzherzogen ernannten Fürsten O's als Kaiser über Deutschland. Unter den vielen trefflichen Sprossen dieses Hauses muß Karl V. seit Karl d. Gr. der mächtigste Monarch Europa's, zuerst genannt werden. Ihm gehorchten auch Spanien und Italien, und da er die östr. Erblande seinem Bruder Ferdinand (nach Karls Tode Kaiser) überließ, so theilte sich das Haus Habsburg in die deutsche und spanische Linie. Ferdinand I. erhielt durch Vermählung mit der Prinzessin Anna von Ungarn und Böhmen diese Reiche, dazu Schlesien, Mähren und die Lausitz (1526). Heftige Erschütterungen hatte der gesammte Staat im 30jährigen Kriege 1618–48 zu erdulden, und es bedurfte der ganzen Charakterstärke Ferdinand's II. und seines Sohnes, um die Schöpfung Rudolph's von Habsburg zusammen zu halten. Es gelang, neue Kraft durchströmte das Ganze, und die lang gefürchteten Türken, obwohl schon Wien belagernd (1683), erlitten solche Niederlagen, daß ihr Einfluß auf Ungarn und Siebenbürgen für immer dahinschwand. Der Held des Türkenkriegs, Prinz Eugen von Savoyen, erkämpfte auch im spanischen Erbfolgekriege ruhmvolle Siege, in deren Folge die südlichen Niederlande und die spanischen Besitzungen in Italien an Oestreich zurückfielen. – Karl VI., der letzte männliche Nachkomme Rudolph's, starb 1740. Seiner heldenmüthigen Tochter, der großen Maria Theresia und ihrer Regierung, ist ein besonderer Artikel gewidmet. Im Vertrauen auf ihr gutes Recht wies sie alle Forderungen und Ansprüche auf ihr Erbe ab, und wußte es auch bis auf Schlesien und Parma siegreich zu behaupten. Sie stiftete durch ihre Vermählung mit dem Herzoge Franz von Lothringen, als deutscher Kaiser Franz 1., die heute regierende Dynastie Lothringen-Habsburg, erhielt von Polen (1772) Galizien und Lodomerien, von der Türkei (1777) die Bukowina und von Baiern (1779) das Innviertel. Ihr Sohn und Nachfolger Joseph II., ein Menschenfreund, wie er selten auf Thronen sich findet, starb schon 1790. Die Anarchie und Zerstörungswuth der französischen Revolution fanden in Franz II. einen kräftigen Widerstand, sein Riesenkampf, von 1792–18156 Mal erneuert und nach harten Schlägen endlich siegreich, lebt noch in Aller Gedächtniß. Als das deutsche Reich seiner Auflösung entgegen ging, erhob der Kaiser seine Staaten (1894) zum Kaiserthum Oestreich und hieß als solcher Franz I.; nach der Errichtung des Rheinbundes (1806) entsagte er ganz der deutschen Kaiserwürde, hatte aber die Genugthuung, beim allgemeinen Frieden 1815 sein Reich in einer Macht und Kraft prangen zu sehen, wie sie keiner seiner Vorfahren besessen (s. Oestreich, Geogr.). Dieser wahre Landesvater, von allen seinen Völkern innig geliebt und von ganz Europa bewundert, starb am 2. März 1835. Ferdinand I., der neue Kaiser, am 7. Septbr. 1836 zu Prag auch als König von Böhmen gekrönt, regiert ganz im Sinne des biedern Vaters, und so ist denn Oestreich, reich und mächtig nach Innen und Außen, die vornehmste Stütze der Ruhe und Ordnung in Europa, die Pflanzschule hoher Tugenden und Talente, und vielleicht das Asyl der Kultur, wenn der wilde Taumel diese aus dem Süden und Westen Europa's ganz vertreiben sollte.

S.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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