Strassburg

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Strassburg. Fast scheint es, die biblischen Schöpfungstage wollten sich wunderbar erneuern, Fluren an Fluren entrollen sich vor unsern Augen wie neue Welten aus der Tiefe des Chaos; dort die blauen Ahnungen der Schweiz, und hier die üppig ausgestreckten, von der Ill bewässerten Matten; im Osten der königliche Rhein mit seinen Goldhügeln und goldenen Weingärten; unter uns die alte weitausgebreitete Stadt mit ihren stolzen Wällen und Zwingburgen, und hier nur wenige Fuß tiefer die vier seltsam geschnörkelten, durchsichtigen Thürmchen.... ja wir stehen auf dem herrlichen Thurme des weltberühmten straßburger Münster, auf dem höchsten Thurme der Erde, den nur die größte Pyramide Aegyptens um 30 F. an Höhe übertrifft, auf derselben Stelle, wo vor mehr als einem halben Jahrhundert Deutschlands Dichterheros, der unsterbliche Göthe, zum ersten Male die Engelschwingen der Poesie der jugendlichen Brust entwachsen fühlte und den seligsten Genuß eng verschwisteter Natur- und Kunstanbetung mit Augen, Mund und Herzen feierte. Vorsichtig winden wir uns durch die 8 schmalen Wendeltreppen aus der »Krone« zurück auf die mit einem steinernen Brustgeländer umgebene Plateforme, von der wir bis hinunter an den Ausgang noch immer 325 Stufen zu steigen haben. Erst eine ganz durchbrochene, immer spitzer aufsteigende Pyramide, wird der königliche Thurm nun zu einem länglichen Viereck mit 6 vorspringenden Pfeilern, dessen ganze Façade mit der kunstreichsten Bildhauerarbeit, mit großen und kleinen Statüen und wundersamen Arabesken verziert ist. 3 stolze Portale geleiten unten in das Innere des Doms, und über dem mittleren, dem Hauptportal, erglänzt die herrliche Fensterrose, die magisch die schönsten Farben zurückstrahlt und in ihrem innern Durchmesser 43 straßburger F. hat. Und – treten wir nun ein in die 3 hohen, 314 F. langen und 116 F. breiten Säulenhallen des Kirchenschiffs, in das majestätische heiligdunkle Gottesgrab des Münsters, an dem Menschenfleiß und Menschenwitz 350 lange Jahre (von 1015–1365) bauten, wo durch die farbigen Glasfenster ein wunderbares Helldunkel, gemischt aus Wehmuthsthränen und dem Sonnenscheine des Glaubens, fällt, wo die Riesenorgel mit ihren 2242 Pfeifen brausend, seligströmend den Dank- und Huldigungsgesang der Sterblichen zu dem Wolken- und Sternenmünster des obersten Werkmeisters trägt, während schon längst der Erbauer dieses granitenen Säulenwaldes, Erwin von Steinbach, in kühler Erde ruht! – Wie klein erscheint doch im Tageslichte des kleinen Menschengewühls die Stadt S. mit allen ihren 60 größeren und kleineren Brücken, ihrer stolzen Citadelle, ihren trefflichen Ebenen an der Ill, nur 30 Minuten vom klassischen Rheinstrome entfernt, mit ihrem großen königl. Schlosse, dem weitläufigen Akademiegebäude mit seinem großen Naturalien- und anatomischen Cabinete, der Sternwarte, den Bibliotheken der Universität, wenn man aus dem heiligen Dunkel des Münsters tritt! Zwar sind das neue, prächtige Schauspielhaus mit seinem Peristyl von 6 ionischen Säulen, das Zeughaus, das Bürgerhospital, worin gewöhnlich über 1000 Personen wohnen, das Militairhospital mit 1800 Betten, würdige Zierden der Stadt, die als Hauptstadt des Departements des Niederrheins und zugleich als einer der stärksten Festungen Europa's, zu den wichtigsten Städten Frankreichs gehört; die zahlreichen Tuchfabriken und großen mechanischen Baumwollenspinnereien, die vielen Bierbrauereien und berühmten Seilereien, die vortrefflichen Kutschen- und Lichterfabriken, die ausgezeichnetsten Gold- und Silberarbeiterwerkstätten, die große königliche Schriftgießerei, Tabaks- und Segeltuchfabrik, bilden die feste Grundlage einer so reichen Betriebsamkeit von 51,000 Ew., deren Anblick wohl die Aufmerksamkeit des Fremden angenehm beschäftigen kann; – allein S's eigenthümlicher Zauber ist doch seine Geschichte, die steinerne Sagenwelt seiner vielen altergrauen, hochstöckigen, giebelreichen Häuser, die Geisterstimmen, welche in seinen engen, finstern, unregelmäßigen Straßen, es oft wehmüthig der französirten Bevölkerung zuflüstern, wie S. vor der Besitznahme durch die Franzosen (1681) als alte freie Reichsstadt eine herrliche, auf sich selbst ruhende Säule des römischen Reichs war; S's eigentlicher Zauber ist doch seine Erwinshalle, die nicht blos der Gegenwart, sondern auch der fernen Zukunft seine Geschichte predigen wird, und an welche sich nur die protestantische St. Thomaskirche mit ihrem prächtigen Marmordenkmal des Marschalls Moritz Sachsen einigermaßen würdig anreihet. Und – hat der Fremdling alle Tiefen der wunderbaren Vergangenheit in den Steinlabyrinthen selig durchschwelgt, hat er im vollsten Nervenrausche die ganzen Wunder der gothischen Romantik ausgekostet, – dann eile er, um sich von dem gewaltigen Genusse zu erholen, in die parkähnliche, liebliche »Ruprechtsau,« wo S's schöne Welt in einem Labyrinth von Villas und Orangerien lustwandelt, und auf den bläulichen Fluthen des Rheincanals sich die lustigen Kähne tummeln!

P.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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