Auge

Auge

Auge Das Auge ist der Sitz des Gesichtssinnes, eine lebendige Camera obscura für die Menschen- und Thierseelen. Unter den Augenliedern liegt der Augapfel, das Weiße des Auges, in dessen Mitte der Sehapparat sich befindet. Die Hornhaut oder durchsichtige Erhabenheit ist der äußerste Theil desselben; hinter ihr die mit Flüssigkeit erfüllte vordere Augenkammer, welche von der hintern durch die Regenbogenhaut getrennt, durch die Pupille oder Sehe in derselben aber mit ihr verbunden wird. In der hintern Augenhöhle liegt die Krystalllinse; den übrigen Raum des Augapfels füllt der Glaskörper, eine durchsichtige Gallerte, aus. Die Regenbogenhaut bildet eine Fortsetzung der schwärzlichen Aderhaut, welche die innere Fläche des Augapfels überzieht und nach hinten dunkel gefärbt ist, welche Färbung die Traubenhaut heißt. Unter der Aderhaut breitet sich die Nervenhaut aus. Die Lichtstrahlen eines Gegenstandes fallen auf die Hornhaut und dringen vierfach gebrochen (wobei die überschüssige Menge zurückgeworfen wird) bis zur Nervenhaut, wo das Bild des Gegenstandes verkehrt abgespiegelt wird. Daß wir die Gegenstände deßhalb nicht auch verkehrt sehen, blieb bis jetzt ein noch ungelöstes Räthsel. Die Pupille verkleinert oder vergrößert sich, um Licht abzuhalten oder mehr Licht durchzulassen, und der Augapfel ist sehr beweglich. Das Auge ist der schönste Theil des menschlichen Körpers und vielleicht das schönste Gebilde der sublunarischen Schöpfung, wenn es in seiner Vollendung, begabt mit der hohen Kraft, die zartesten Empfindungen der Seele wiederzustrahlen, die Züge vernunftbegabter Wesen belebt. Was sind die bunten Gebilde aus Flora's duftenden Kränzen, was der farbige Strahl der Sonne, das schmachtend sanfte Licht des Mondes, das Funkeln der Sterne, das Farbenspiel der glänzend befiederten Vögel und selbst des Diamants fast lebendiger Glanz gegen den glühenden Strahl, gegen das sanft schmachtende Bitten, gegen den Glanz der Freude und das entzückende Funkeln glücklicher Liebe im belebten Auge des Menschen? Das Auge ist der Spiegel der Seele, die Blicke Boten ihrer Gefühle, ihre Sprache, ihre geistigen Arme. Die leiseste Empfindung des Innern durchzuckt das Auge, trägt sie bedeutungsvoll zum Spiegel verwandter Seelen, um diese zu umfangen und zu fesseln. Blicke sind die Pasigraphie der ganzen belebten Schöpfung, die verständliche Sprache der Thierwelt und aller, die verschiedensten Zungen redenden Völker. Ein Blick regiert den treuen Gefährten des Menschen, den Hund, und bändigt den wüthenden Löwen, der ihn nicht zu ertragen vermag; der Glanz der vernünftigen Seele lähmt die Kräfte der Wuth, wie der Schrecken die Kraft kleiner Geschöpfe beim Anblick riesiger Schlangen. Diese Gewalt des Blickes ist die hohe Herrschaft des Geistes über den Unverstand und ein Beweis für unsere höher gestellte Seele. Das Auge ist der Vermittler der Liebe. Ein einziger Blick und das Schicksal eines Menschen ist freudig oder schmerzvoll begründet. Was uns auch glühende Dichter in bändereichen Werken vom Glück der Liebe verkünden – ein einziger Blick ist der schönste Roman, der wie ein Traum, weit ausgesponnen, in einem Momente durch die Seele zuckt, ein geistig elektrischer Funke, dessen Schlag die Empfindungen des Herzens sichtet und läutert. Was wäre die anbetenswürdige Schönheit der Geliebten, wenn der Wonne athmende und thränenfeucht schmachtende Blick ihr fehlte? Die Venus von Praxiteles ist das Ideal weiblichen Reizes. Wer aber kann vor diesem himmlischen Bilde mit anderer Empfindung stehen, als dem Bemühen, aus dem sanften Ebenmaß der bezaubernden Gestalt und der Züge den himmlischen Blick der Augen zu finden, die nur andeuten, daß hier die Seele fehle, um Anbetung zu gebieten! – Wie rein und sorglos ist der Blick der Unschuld, der mehr als die weiße Farbe, den Tauben die Ehre gab, Sinnbild derselben zu sein, und wie dunkelleuchtend, wie ein Wegelagerer aus buschiger Höhle sein verderblich Geschoß lauernd richtet, schießt bedächtig oder zittert unruhig der Blick des Verbrechers und des bösen Gewissens; der Wahnsinn tödtet das nach Außen wirkende Leben desselben, wie er das Leben des Geistes gelähmt, und jede Krankheit verkündet sich im Auge. Menschenkenntniß ist auf das Studium des Auges gegründet und ein Blick in das Auge Anderer, lehrt häufig den moralischen Werth derselben kennen.

D.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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