- Vestalinnen
Vestalinnen. Die Priesterinnen und Tempeldienerinnen der Vesta, reine, schuldlose Jungfrauen, welche im Tempel das ewige Feuer auf dem Altar dieser Göttin der Keuschheit und Makellosigkeit unterhalten mußten. Diese Priesterinnen standen im größten Ansehen, vor ihnen her wurden bei feierlichen Aufzügen die Ruthenbündel mit dem Beil, wie vor den Consuln, durch die Lictoren, getragen; wo eine V. erschien, endete jeder Kampf; der zum Tode geführte Verbrecher erhielt Begnadigung, wenn ihm eine V. begegnete. Die persönliche Würde, welche die Vestapriesterin umgab, steigerte sich fast zur Heiligkeit. Es waren dieser Jungfrauen Anfangs vier, dann sechs; Numa Pompilius war es vornehmlich, welcher den schon früher bestandenen Dienst verbessert einführte und demselben Glanz und Würde verlieh. Dreißig Lebensjahre mußte die V., welche jedesmal aus 20 Jungfrauen durch den Pontifex Maximus auserwählt wurde, dem Dienst der Göttin weihen: zehn, um ihn zu lernen, zehn, um ihn zu üben, und zehn, um ihn zu lehren. Dann stand es ihnen frei, sich zu vermählen. Ihrer Obhut war nun das heilige Feuer anvertraut, nicht minder das Palladium der Stadt. Eine nach der andern hatte die Nachtwache im Tempel, um die Flamme zu nähren. Die sie verlöschen ließ, wurde an einen dunkeln Ort gebracht und vom Oberpriester furchtbar gegeiselt, dann suchte man die erzürnte Gottheit durch Gebete zu sühnen und entzündete die Altarflamme an den Strahlen der Sonne. Aergere Strafe drohte der, welche ihr Gelübde der Keuschheit brach. Ihr Verführer wurde zu Tode gepeitscht, sie selbst in ein unterirdisches Gewölbe eingemauert, sammt dem Kinde, wenn ihr Vergehen Frucht getragen. Ein Krug Wasser, ein kleines Brod, eine brennende Lampe, das waren die einzigen traurigen Mitgaben, mit denen die Unglückselige ihr Leben so lange fristen konnte, um ihr grausames Loos in seiner ganzen Schrecklichkeit zu empfinden, denn es erlosch nun die Lampe, der Vorrath ging zu Ende, der Krug ward leer und an die Stelle der vielleicht noch leise genährten Hoffnung traten wüthender Hunger, Durst und Verzweiflung, während die Stadt die Unglückliche bedauerte und betrauerte. Es kamen mehrere Fälle vor, daß Vestapriesterinnen sich und ihre Pflicht vergaßen. Rhea Silvia umarmte den Mars, und ward Mutter von Romulus und Remus, welche dem Untergang entrissen wurden, während sie den Tod in der Tiber fand. Minuciah hieß die V., an welcher zuerst die grausame Strafe des Lebendigbegrabens vollzogen wurde.
–ch.
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.