- Brahma
Brahma. Der mit Wischna und Schiwa aus dem selighohen, unnennbaren und unbegreiflichen Urwesen Parabrahma hervorgegangene große Geist der indischen Götterlehre, welcher die Krone aller Dinge und der Geber des heiligen Gesetzes ist. Er wird abgebildet mit vier bärtigen Köpfen, in einer Hand das heilige Gesetzbuch (Vedam) tragend, in einer andern einen Rosenkranz, in der dritten ein kupfernes Gefäß zum Wasserschöpfen; die Häupter sind blumenbekränzt, und über ihnen steigt eine Flamme empor. Auf der Lotosblume sitzt er, und fährt auf einem weißen Schwan (Hamsa) über heilige Fluthen. Brahma ist die schaffende Gewalt (Erde), Wischnu die erhaltende, alle Wesen durchdringende (Wasser), Schiwen oder Schiwa die zerstörende, aufreibende, vernichtende (Feuer); daher ist es gekommen, daß Wischnu und Schiwen länaere und größere Anbetung zu Theil wurde, und Brahma's alte Tempel sanken; aber viele Tausende frommer Brahmanen beten noch zu ihm, und bringen ihm, von dem sie stammen, Opfer und Büßungen dar. Groß ist die Zahl der Namen des Gottes, und jeder dieser Namen bezeichnet einen Begriff, den sich die Völker Indiens von ihm machten. Manche dieser Namen sind weiblich, weil ihn die Mythe oft zweigeschlechtig darstellt, während sie ihm aber auch zugleich eine Gemahlin, die Sarasvadi, zugesellt, welche Harmonie, Wohlklang, Beredsamkeit bedeutet. Seine Namen sind zahlreich. Unter Andern heißt er auch Cámalásana, der Sitzende auf der Camala, der Lotusblume, welche Blume aus Erde und Wasser geboren, von der Sonne befruchtet wird, und in ganz Indien das uralte Symbol der zeugenden und gebärenden Naturkraft ist, eine heilige Wunderpflanze, die fast auf allen indisch mythischen Bildern sich vorfindet, in allen Dichtungen wiederkehrt, die auch den alten Aegyptiern heilig und eine vieldeutsame Hieroglyphe war. Von dieser Lotosblume, der Nymphäa, Seerose, Seelilie, Seetulipane, wachsen auf den indischen Gewässern große und prächtige Arten, während wir in Deutschland nur zwei, die weiße und die gelbe, haben, die aber dennoch mit ihrer wundersamen Blüthe, ihrer geheimnißvollen Befruchtung und ihren schwimmenden Blättern eine Zierde unsrer Seen sind. Wenn nun Brahma zunächst als schaffende Weltkraft aus dem ewigen Urwesen hervorging, so machte ihn auch die Mythe zum Lenker der Geschicke, der allen Erschaffenen Zeit und Stunde ihres Daseins bestimmt. Er hat eine große Menge Genien in seinem Dienst, Emadudaka. welche nächst ihm auch noch acht untergeordneten Gottheiten, die nach acht Winden hin die Welt beherrschen, Gehorsam leisten. Brahma ist auch der Vater oder Erfinder der vier vornehmsten indischen, sogenannten Kasten, Stammgliederungen jener Völkerschaften, nach welchen Beruf und Gewerbe erblich sind, und die sich unter einander nie vermischen. Aus dem Haupte des Gottes entsprangen die Brahmanen oder Braminen, die weisen Priester, Deuter und Lehrer der Schrift, aus den Schultern Cschatriyer, die Königskaste, die Völkerbeschützer und Träger gemeinsamer Lasten; aus dem Unterleib die Valschjir, Kaufleute und Ackerbauer, die Reichthumsammelnden, Leibpflegenden, und aus den Hüften oder Füßen die Dienenden, Arbeitenden, die Stützen des Reichthums, die Säulen der Herrschaft, die Nährer der Priester. Einige sagen, daß Brahma alljährlich sterbe, und dann wieder lebendig werde; offenbar ein Bild der Erde und ihres Jahreszeitenwechsels. Seine Wohnung, Brahmaloga, liegt dem Himmel am nächsten. Heilig ist ihm der Schwan, das Symbol des Wassers; Brahma reitet auf ihm, weil nach dem alten Glauben der Völker die Erde auf dem Wasser schwimmt. Einst hatte Brahma fünf Häupter; in einem schrecklichen Kampfe mit Schiwa und Wischnu, bei welchem die Gestirne vom Himmel fielen, und die Erde bebte, wurde ihm eines dieser Häupter entrissen, und Schiwa setzte es auf sein eignes. Es war der Mond, der sich aus dem Schoos der Erde losriß, und seinen Weg gegen die Gestirne nahm. Brahma behielt nur noch vier Häupter, die vier Weltgegenden. Ost auch wird Brahma unbärtig abgebildet, die vier Häupter gekrönt, mit einer Art von hoher Mitra, und hält in einer Hand einen Ring, das Zeichen der Unsterblichkeit, in der andern ein Feuer, das Bild der Stärke, mit der dritten und vierten schreibt er auf Palmblätter die heiligen Gesetze nieder. Jedenfalls birgt sich in allen Bildern, wie in allen Mythen von Brahma und seinen Brüdern eine tiefe Mystik, und eine in die Schleier des Uebersinnlichen eingehüllte Anschauung der Natur- und Weltkräfte, deren bildliche Darstellung oft dem äußern Anscheine nach überphantastisch erscheint, genau betrachtet aber von hochpoetischer Auffassung zeugt. In der Glypthothek zu München ist ein schöner Brahmakopf, vierköpfig mit jugendlichen Gesichtern und pyramidenförmigen Mithran befindlich.
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http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.