- Haiti, sonst St. Domingo
Haiti, sonst St. Domingo, die zweite unter den großen Antillen im mexikanischen Meerbusen, 1492 von Columbus entdeckt und von ihm zuerst Hispaniola genannt, hat einen Flächeninhalt von 1350 Quadrat Meilen mit 1,200,000 Ew. und ist seit 1816 eine Republik. Der wuchernde Boden der Insel, welche im Innern von 6000 Fuß hohen Gebirgen durchzogen wird, gibt einen Ueberfluß an Erzeugnissen für Nahrung und Handel. Die Nord- und Westküste, steil und felsig, hat treffliche Häfen, aus denen Kaffee, Zukker, Cacao, Mahagony, Campecheholz, Tabak und Baumwolle über's Meer geführt wird. Erst nach der schrecklichen Revolution hat sich die Insel zu einer Blüthe entfaltet, welche das alte St. Domingo nie erreichte und unzählige Schwarze, Farbige und Indianer sieht man jetzt die vereinigten Staaten von Nord- und Südamerika verlassen, um in Haiti zu wohnen. Die Mehrzahl der Bewohner sind farbige Menschen, Mulatten, weniger Schwarze und nur 30,000 Europäer bewohnen den östlichen Theil der Insel. Die Mulatten, europäisirt und katholischer Religion, stehen an der Spitze der höchsten Staatsämter, treiben ausgebreiteten Handel und bewohnen die meisten Städte. Die Schwarzen genießen völlig gleiche Rechte, beschäftigen sich aber größtentheils mit Anbau des Landes. Die Europäer sind geduldet, können aber nie das Bürgerrecht erhalten. Nur wenn sie sich mit farbigen Frauen verehelichen, dürfen sie ein Geschäft unter dem Namen der Frauen führen, welche hier in größerem Ansehen stehen als irgendwo in der Welt. Die Negerinnen sind wohlgestaltet und haben angenehme Züge, blendend weiße Zähne, glänzend schwarzen Teint, blitzende Augen und purpurrothe Lippen, die Kreolinnen sein, einnehmend und gastfreundlich, mit reizender Fülle und seiner Taille, besitzen alle Reize der Anmuth und kleiden sich prächtig. Alle haitischen Frauen lieben den Luxus. Ihr Kopfputz besteht aus reichen, sonderbar gewundenen Tüchern, ihr Gewand aus den kostbarsten einheimischen und englischen Stoffen, gewöhnlich von Seide, aber jederzeit von den lebhaftesten Farben. Sie tragen alle Finger voll Ringe, goldene Ohrgehänge und die kostbarsten Halsgeschmeide. Mit der Mode hält man es weniger streng. Madras oder gestickte Tücher, große weiße Hüte und Sonnenschirme sieht man zu gleicher Zeit. Wenn auch in den prachtvollsten Gewändern gehen doch die schönsten Kreolinnen und Negerinnen stets barfuß. Ihre Sprache, das sanfte, halbfranzösische und wohlklingende Kreolisch ist weich, glühend und nachlässig wie ihre Sitten. Auf dem Lande ist der Anzug einfacher. Ein grobes Hemde, Beinkleider von Leinwand, ein um den Kopf gewundenes Tuch, wie es auf der Insel allgemein getragen wird, ein großer runder Strohhut bilden den Anzug der Männer und Frauen. Die Neger erhalten und pflegen die Plantagen von Kaffee, Zucker, Indigo, Cacao und Tabak und besorgen den Anbau der Bananen, der Yams und Maniok und anderer Früchte. Sie arbeiten stets in Gesellschaft von 60,100 und 200 Personen. Tanzen und Reiten sind die Vergnügungen der Haitier und nur der gebildetere Theil findet in europäischen Beschäftigungen Genuß. Ihre glühende Phantasie umfaßt mit Liebe die großartigen Romane Bernhardin's de St. Pierre, und wer bei ihnen auf Bildung Anspruch macht, muß sie kennen. Man wird in Haiti kein Haus finden, wo man von Paul und Virginie nicht wüßte, Kreolinnen und Negerinnen würden die Unbekanntschaft mit einem Gemälde unverzeihlich finden, das alle Reize der tropischen Welt in entzückenden und bis jetzt unübertroffenen Farben malt. Wie überhaupt in dieser jungen Negerrepublik Alles im Werden und Wachsen ist, so bemerkt man auch, daß die reiche glühende Phantasie ihrer Bürger mit häuslicher Bequemlichkeit Geschmack und Eleganz zu verbinden weiß, und daß man sich die äußerste Mühe gibt, den ersten Platz unter den civilisirten Völkern der Welt zu verdienen. Daher auch der Gesellschaftston äußerst sein, bedächtig und anständig ist, und der erfindungsreiche Geist der Mulatten und Neger unter der Leitung Boyer's, ihres hochverdienten Präsidenten, in Industrie, Künsten und Wissenschaften einen neuen herrlichen Schwung nimmt
J.
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