- England (Frauen)
England (Frauen). Es gibt kaum einen deutschen Reisebeschreiber, der, wenn er die Schweiz, Italien, Südfrankreich, oder gar den türkischen Orient durchreist hat, nicht von den Engländerinnen, welche ihm auf seinen Fahrten begegnet, von ihrer Abenteuerlichkeit, ihren Sonderbarkeiten, ihrem männlichen Wesen und stoischen Ernste, aber auch von ihrer idealen Schönheit, ihrem hohen, schlanken Wuchs, ihrem imposanten Wesen, von den blonden, nachlässig geordneten Locken, den blauen, feurigen, vielsagenden Augen, von dem majestätischen Ausdruck des Gesichtes, dem blendend weißen Teint und der stolzen Haltung in dem ganzen Wesen der Britinnen, wie wir sie besonders auf englischen Kupferstichen so wahr und lebendig, als anziehend und überraschend erblicken, gesprochen hatte. Und wer hatte selbst in neuerer Zeit nicht von der Lady Montague, die in des Sultans Harem drang und uns zuerst davon Kunde gab, von der Lady Stanhope, die am Libanon als Fürstin barbarischer Horden lebt, von der edlen Miß Anna Fry, diesem Engel der Wohlthätigkeit, von der geistreichen, männlich scharfsinnigen Lady Morgan etc. gehört? – Zudem sind wir häufig daran gewöhnt, in deutschen Hauptstädten englische Frauen hoch zu Rosse, muthvoll, jagdlustig erscheinen und sie den männlichen Ernst der weiblichen Grazie vermählen zu sehen. – Die Engländerin ist eben so wenig mit der Deutschen, wie mit der Französin gleich zu stellen. – Engländerinnen waren es, die ihren Gatten auf beschwerlichen Kriegszügen, Seefahrten und Entdeckungsreisen folgten, die Schwachen ihres Geschlechts verläugneten und so den Männern aller Nationen Bewunderung abtrotzten. In Deutschland herrscht das Gemüth und die Grazie, in Frankreich die Grazie und die Leidenschaftlichkeit, in England die Grazie und der Muth mit dem Ernste bei dem schönen Geschlechte vor. – Der Lebensernst verbannt die Schwärmerei und Empfindsamkeit, aber auch die hingebende Innigkeit der Leidenschaft; die Liebe ist Pflicht, Gehorsam moralische Schuldigkeit, eine Unterordnung voll Zärtlichkeit und dennoch voll weiblicher Selbstständigkeit. Die englische Frau imponirt; man achtet sie erst, ehe man sie liebt, und wenn man sie liebt, lernt man sie verehren. Die Züchtigkeit ist ihr Palladium, ein Palladium mit dem Medusenhaupte: aber es schreckt nur die frivole Neigung zurück. In der scheinbar eiskalten Brust schlägt von Wohlwollen und Liebe aufgethaut auch ein tiefglühendes Herz, das nicht nur entsagen, sondern opfern, erringen, erkämpfen, sterben kann. – Beinahe jedes Zeitalter hat uns leuchtende Exempel tugendhafter, hochherziger Frauen Englands geliefert, deren Namen die Geschichte mit einem verdienten und unverwelklichen Kranze umwoben hat, würdig der Frauen Roms und Griechenlands. – Der Französin erscheint die Engländerin zu kalt und ernst, der Deutschen zu männlich; der Engländerin erscheint die Deutsche zu weibisch und schwärmerisch, die Französin zu frivol. – Was nicht im Charakter liegt, vollendet die Erziehung, und wir dürfen nicht läugnen, daß diese, so wie die politische und gesellige Stellung der Frauen in den drei genannten Reichen eine ganz verschiedene ist – was natürlich aus lokalen Verhältnissen hervorgeht. – Das englische Mädchen zeichnet sich durch Liebe zur Unabhängigkeit aus, insofern es mit den Eltern gewisser Maßen auf Einem Fuße lebt; aber ihre Erziehung ist darum eine negative, weil man ihnen unaufhörlich zuruft: »Thut dieß und laßt Jenes!« Fragt ein Mädchen nach dem Grunde des Verbotes, so folgt die Antwort: »Weil es nicht schicklich ist, und, Miß!« wird hinzugefügt »auch das Fragen nach der Ursache eines Verbotes ist unziemlich.« – Es ist demnach Alles verboten, was nicht durch bestimmte Anweisungen und Aussprüche erlaubt ist. Bei diesem Umstande sind freilich auch die deutschen Frauen die naivsten und natürlichsten, die englischen die ernstesten und besonnensten – Aber ein falscher Begriff von Züchtigkeit wohnt ihnen inne. Die deutsche Frau arbeitet unbefangen in Gegenwart eines Mannes an einem oder dem andern Kleidungsstücke, die Engländerin würde erröthen, Manches davon auch nur beim Namen zu nennen. Die öffentliche Freiheit der Männer in England bietet keinen Maßstab für die häusliche der Frauen. Man duldet ihr ritterliches Wesen auf Jagden, Landpartien, gefährlichen Reisen, das sich instinktartig an dem der Männer spiegelt; man findet es aber nicht romantisch, man schätzt es nicht als Gegenstand der Bewunderung, des Außerordentlichen, was dagegen in Deutschland und Frankreich einer Dame solchen Charakters augenblicklich Tausende von Herzen zu Füßen legt. – Und doch liebt der Engländer das Sonderbare; aber hierin sieht und sucht er es bei seinen Landsmänninnen nicht, er setzt es voraus. – Leidenschaftliche Liebe findet man bei den Engländerinnen selten; aber desto mehr Ehrbarkeit und Treue; sie verherrlichen durch ihre Gegenwart die Tafelfreuden, aber sie entfernen sich, wenn beim Nachtisch die Flaschen aufgetragen werden. Untreue ist in den gebildeten Standen ein seltener Fall, sie sind pflichtgetreu aus Erziehung, Grundsätzen, Temperament, Zurückhaltung. Im Allgemeinen sind sie mehr von der Gesellschaft der Männer, die dem öffentlichen Leben angehören, getrennt; – auf die Häuslichkeit, die Erziehung der Kinder, auf Lectüre und Dilettantenkünste concentrirt sich ihr Lebensrest. – Sie gehen viel aus, selten aber ohne Begleitung der Dienerschaft, fahren und reiten sehr gern, bringen aber die Abende zu Hause zu, wenn Umstände nicht den Besuch des Theaters oder eines Concertes erfordern. Von den Abendgesellschaften, Kränzchen etc. der deutschen Frauen, von den entzückenden Salonsfreuden der Französinnen haben sie in England nur einen entfernten Abglanz. Große Soireen sind in England nur Gegenstände der Etiquette, und diese erfordert, zwei Mal mehr Gaste zu laden als die Lokalität Raum dazu bietet. Darum wenig Spiel der Coquetterie, keine Rendezvous, kein glückliches Wiederfinden am dritten Orte, keine Ungenirtheit stundenlanger, geheimer Unterredungen in Gegenwart Vieler, wie in den französischen Salons. – Eine geistreiche Schriftstellerin Englands, Mistreß Trollope tadelt zwar das Methodische der englischen Erziehung, das im Erlernen lebender und todter Sprachen, im Malen, Zeichnen, Singen, Fortepianospielen etc. besteht. Sie begreift nicht, wie man Mädchen zu Dilettantinnen heranzuquälen sich bestrebt, die höchstens erträglich sind, aber in Gesellschaften doch durch die jahrelangen, spärlichen Produkte ihres Fleißes Aufsehen erregen sollen. Welchen Vortheil, fragt sie, soll dieß für ihren höchsten Lebenszweck, die Ehe, bringen? Aber wir unserseits sehen auch den Nachtheil nicht ein, da nach allen Erfahrungen die häuslichen Tugenden der englischen Frauen dadurch nicht erstickt werden. – Fast in jeder Erziehung liegt, da es ja auf die individuelle Ansicht der Eltern oder Erzieher dabei ankommt, etwas mehr oder minder Verfehltes; das reine Naturell der Erzogenen vermeidet später schon von selbst, wenn die Mißgriffe nicht zu großartig sind, jeden gefährlichen Irrweg. – Es handelt sich ja nur darum, einen späteren Beruf und seine Aufgaben zu erfassen, die Nichtigkeit und Unbedeutendheit früherer Beschäftigungen einzusehen, um den Lebensernst und die Thatkraft an ihre Stelle zu setzen. – Die Engländerin, voll Ehrfurcht für das Gesetzliche, gewöhnt sich leicht daran, den Willen ihres Gatten als unverbrüchliches Gesetz anzusehen, und selbst das Rauhe seines Betragens mit Gelassenheit zu erdulden. Man würde dieß vielleicht ein Mißverhältniß der Geschlechter zwischen einander und ihrem Einflusse nennen; aber es geht dieß aus der nationellen Stellung und Richtung, aus der Art der Erziehung und aus einer Hochschätzung hervor, die um so wahrer erscheint, als sie nicht ein Ergebniß der ungezügelten Leidenschaft ist. Nicht selten geschieht es, daß die Engländerin ihren Gemahl zugleich ihren »Herrn und Gebieter« nennt. Unverheirathete Frauen genießen in England verhältnißmäßig keiner großen Freiheit. Sie dürfen des Morgens einige Stunden spazieren gehen, sind aber stets von einem Bedienten oder einer Kammerfrau begleitet. Es herrscht die Sitte, daß beim Begegnen auf der Straße kein Herr eine Dame früher grüßt, bevor sie ihm nicht durch ein Zeichen mit der Hand die Erlaubniß dazu gegeben, unterläßt sie dieß aber, so gilt es für keine Beleidigung. Es liegt demnach etwas Zartes darin, daß die Dame den Herrn auffordert, sie zu grüßen. – Die Liebe zur Unabhängigkeit lebt so tief in den Herzen der Engländer, daß Eltern ihre Kinder, sobald sie erwachsen sind, gleichfalls unabhängig zu sehen wünschen. Darum versäumen sie selten, ihre Töchter so vortheilhaft als möglich zu verheirathen und warten in der Regel nicht erst die erwachende Neigung des Mädchens für einen oder den andern Mann ab. – Die Töchter fügen sich gehorsam, da ihnen meistens die Abenteuerlichkeiten und Schwärmereien einer frühzeitigen Jugendliebe fremd bleiben. – Dennoch aber gibt es in England so viel unverheirathete Frauen, wie in keinem andern Lande, daran ist aber nicht das Herz und seine Neigung, sondern oft der Familienstolz, der Werth, welchen die Eltern auf Reichthümer, Glanz und Ansehen legen, Schuld. – Mistreß Trollope behauptet, jene ehelosen, bejahrten Damen wußten sich viel weniger als die Deutschen und Französinnen in ihre Lage der Entsagung zu versetzen; in ihrer Jugend an Gehorsam und Einschränkung gewöhnt, finden sie ihr Vergnügen darin, die heranwachsende Generation zu beschränken, sie einzuschüchtern und durch ewiges Moralisiren zu peinigen. – Aber dergleichen ist meist individuell, findet sich in Deutschland und Frankreich auch; und England ist gewiß nicht arm an bejahrten Jungfrauen voll edlen Sinnes, voll Sanftmuth, Willensreinheit und voll der Menschenliebe, die um so höher aufflammt, je schmerzhafter sie den eigenen Blüthenkranz der Jugendzeit verwelken sah. – Ueberbildete Frauen sind in England nicht selten; sie treten aber um so weniger störend hervor, weil es häufig vorkommt, daß junge Mädchen den Homer und Horaz in der Ursprache lesen, ohne deßhalb späterhin ihren Beruf zu verfehlen. – Der männliche Spott scheucht diejenigen, welche sich ganz der weiblichen Bestimmung entfremden und bloß der Gelehrsamkeit leben, mit dem Spottnamen »Blaustrümpfe« zurück. – Wir dürfen nicht unbemerkt lassen, daß kein Land so viele geistreiche Schriftstellerinnen, wie England aufzuweisen hat, von denen so manche sich sogar europäischen Ruhm erworben, und nennen nur die Damen: Bourney, Smith, Owenson, Radcliffe, Oppie, Edgeworth, Porter, Montague, Morgan, West, Trollope, Jameson etc. – Wieviel andere ausgezeichnete Frauen England mit Stolz die Seinigen nennen kann, sei hier der Wiederholung wegen nicht erwähnt, da ihre Biographien einzeln in diesem Werke enthalten sind, doch erwähnen wir vor Allen der jungfräulichen Königin Elisabeth, dieser Frau voll Herrschertugenden und bewunderungswürdiger Gelehrsamkeit.
–n.
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.