Stanhope, Lady Esther

Stanhope, Lady Esther

Stanhope, Lady Esther, die Nichte des berühmten Pitt, gehört durch ihre Geburt der hohen Aristokratie Englands, durch eigene Wahl und seltsame Gewohnheiten dem mährchenreichen Oriente an. Nach dem Tode des Oheims, dem sie viel galt, schien es, als habe die civilisirte Welt, und besonders das Vaterland, jeden Werth für die Betraute des großen Diplomaten verloren. Kaum 24 Jahr alt und schön unternahm Lady Esther die Ausführung eines längst entworfenen Plans, das Morgenland zum Wohnsitz zu erwählen und von den des größten Theils ihrer Besitzungen zur Ausrüstung eines Schiffs, das sie nebst dem, was ihr für ihren Zweck nöthig schien, nach der Levante bringen sollte. Trotz dem Abmahnen ihrer Freunde trat sie die Reise auch wirklich an. Ein heftiger Sturm, der noch inmitten des griechischen Archipels ihr Fahrzeug zertrümmerte, ihre mitgenommenen Schätze ins Meer versenkte und die kühne Frau selbst an eine öde Küste warf, vereitelte für den Augenblick ihr Vorhaben gänzlich; aber glücklich gerettet und nach England zurückgekehrt, blieb sie doch, ohnerachtet dieses Mißgeschicks, das die Meisten entmuthigt haben würde, ihren Vorsätzen getreu. Mit fester Entschlossenheit raffte sie den Rest ihres Vermögens zusammen, erreichte das zweitemal glücklich Aegypten und erkor nach längerm Umherschweifen ein altes, halbverfallenes Kloster, Mar Elias Alza, 11/2 Stunde von Saida in der syrischen Wüste, zum festen Aufenthaltsorte Gänzlich geschieden von dem, was wir die Welt nennen, lebt sie in diesen durch ihr Gold in ein Kastell verwandelten Trümmern und unterhält nur brieflich einige geringe Relationen mit Britannien, von wo aus ihr Bücher und Nachrichten zugesandt werden. Ihre Umgebung besteht aus demselben Personale, wie die eines morgenländischen Fürsten. Eine Engländerin hatte sie als Gesellschafterin in diese Einsamkeit begleitet, wurde jedoch von ihr zurückgeschickt, weil der schönste ihrer Leib-Mamelucken die gegen seine Neigung nicht gleichgültige Fremde zur Gattin verlangte, und Lady Esther, wie Begum Somru, kein süßes Liebesglück neben ihrem ernsten Kaltsinne duldet. Seitdem umringen sie nur schwarze Sclaven und braune Söhne der Wüste, die in ihren Diensten stehen. Ihr Muth und ihre Freigebigkeit, zwei Tugenden, die bei den Orientalen jeder andern voranstehen, erhoben sie in den Augen der Beduinenstämme, ihrer Nachbarn, nicht nur zu einem begünstigten, sondern angestaunten Wesen. Ihre Scheiks besuchen bisweilen die befreundete Ausländerin, und als sie einst die Ruinen Palmyra's besuchte, rief der dieselben bewohnende Stamm sie voll Enthusiasmus zur Königin von Palmyra aus. Dessenungeachtet rettete nur ihre seltene Reitkunst sie eines Tages vor ihren zweideutigen Freunden, die förmlich Jagd auf sie machten, um der Gefangenen ein hohes Lösegeld abzuzwingen. Die Schnelligkeit ihres Rosses entzog sie den Verfolgern und seitdem ist ein zweiter Versuch der Art gegen sie, die man mit abergläubischer Ehrfurcht betrachtet, nicht erneuert worden. Wirklich hat auch ihr wunderbares Treiben selbst für Europäer etwas Mystisches. Gekleidet wie ein Mann in türkischer Tracht trägt sie eine Kopfbedeckung von weißem Muslin, wie die Priester der alten Aegypter, verschmäht den Tschibuck (die türkische Pfeife) nicht und verbringt den Tag, wenn sie nicht spazieren reitet, mit Schlafen, oder jenem contemplativen Nichtsthun, das den Morgenländer charakterisirt. Mit den wunderschönen Nachtstunden ihrer neuen Heimath beginnt ihre Thätigkeit, und gibt sich in astrologischen Forschungen, wie andern wunderlichen Studien kund. Ergiebige Brunnen, die der Gegend ringsum fehlen und nur in ihrer Behausung reichlich sprudeln, begünstigen die Anlage eines zauberischen Gartens, worin sie eine Sternwarte errichten ließ und in dem mit den edelsten arabischen Rossen ausgestatteten Marstalle bewahrt sie abseits allein zwei besondere Thiere, die zu hohen Zwecken bestimmt sind. Durch Herrn von Lamartine nämlich, der während seiner bekannten Reise ins Morgenland auch das seltene Glück hatte, ihr vorgestellt zu werden (sie empfängt nur höchst ungern europäische Reisende, Engländer nie), erfuhr Europa, daß diese merkwürdige Einsiedlerin den im Oriente so allgemeinen Glauben an die Erscheinung eines Messias hingegeben lebt. Wohl möglich, daß ihr, die längere Zeit in der Nähe die Federn spielen sah, welche Wohl und Wehe der Staaten lenken, ein solcher Gesandter und seine hohe Mission, die Völker zu einen und glücklich zu machen, sehr dringend erscheint; aber erfüllt vom Bewußtsein ihres eigenen besten Wollens, genährt vom wachen Traume, der sie umfängt und nicht ganz frei vom Nationalstolze, weist sie sich selbst die Stelle neben jenem Beglücker an. Nach der Sage des Orients soll er auf einer Stute, deren Rücken die Natur selbst sattelförmig gebildet, in Jerusalem einziehen. Lady Stanhope besitzt dieß wahre Wunderthier und erzieht neben ihm ein anders für sich selbst, wenn sie den Messias begleiten wird. Unterdessen sucht ihr Blick am gestirnten Himmel die günstige Constellation zu erspähen, welche diesen Phantasien Erfüllung und aus dem Geschlechte, in dessen Mitte sie wie die Sphinx der Wüste weilt, den Erwarteten bringen soll.

F.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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