Cornelia

Cornelia

Cornelia, war die Tochter des großen Scipio Afrikanus, des Siegers des Hannibal, und nach dem allgemeinen Zeugniß des Alterthums, die erste Frau ihrer Zeit. Jene Größe des Geistes, die ihren Vater, an dem sie mit schwärmerischer Bewunderung hing, gleichsam über sein Zeitalter erhoben hatte, war in reichem Maße auf sie übergegangen, und mit ihr zugleich jener zarte Sinn für Kunst und Literatur, der seit der genauern Bekanntschaft mit den Griechen zuerst in dem Hause der Scipionen in Rom einheimisch ward, und durch ihre Pflege sich auch in dem Hause der Gracchen verbreitete. Nach einem ruhmvollen, thatenreichen Leben, und nach manchem erfochtenen Siege traf Scipio der Undank seines Volkes. Von zwei Volkstribunen wurde er vor Gericht angeklagt, er, der noch kurze Zeit vorher der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung und einer fast abgöttischen Verehrung aller Römer gewesen war. Nur einer, obgleich den Scipionen persönlich feind, Tiberius Sempronius Gracchus, nahm für den Helden mit Feuer und edler Begeisterung das Wort; dieser war es, dem Cornelia im Jahre 187 vor Chr. Geburt ihre Hand reichte. Er bekleidete die höchsten Würden des Staates, indem er Censor und zwei Mal Consul gewesen war, und zwei Mal die Ehre des Triumphs genossen hatte. Aus dieser Ehe hat Cornelia zwölf Kinder gehabt, die aber, bis auf drei, früh wieder starben. Nur zwei Söhne, Tiberius und Cajus Gracchus, die eine so große und wichtige Rolle in der römischen Geschichte spielten, und eine Tochter, Sempronia, welche sich dem jüngern Scipio, dem Zerstörer Karthago's, vermählte, waren ihr geblieben. Nach dem Tode ihres Gatten stand Cornelia ihrem Hauswesen und der Erziehung ihrer Kinder mit einer Umsicht und Weisheit vor, die ihr allgemeine Anerkennung und Achtung erwarben. Plutarch berichtet, daß Ptolemäus, König von Aegypten, ihr das königliche Diadem und seine Hand angeboten, Cornelia jedoch diesen Antrag verworfen habe. Sie widmete sich ganz der Leitung und Ausbildung ihrer Kinder, und obgleich diese von der Natur mit den trefflichsten Anlagen und Fähigkeiten begabt waren, verdankten sie doch der weisen Erziehung ihrer Mutter unstreitig mehr, als jener. Auf den Söhnen ruhte vorzüglich Cornelia's ganze Hoffnung, da die Ehe ihrer Tochter nicht sehr glücklich war. Sie wollte sie zu Staatsmännern bilden, und lebte nur in der schönen Erwartung, wie sie ihnen oft wiederholte, nicht mehr die Schwiegermutter des Scipio, sondern die Mutter der Gracchen zu heißen. Zu diesem Endzwecke ließ sie ihnen sorgfältig Unterricht in denjenigen Kenntnissen ertheilen, welche ihnen in der politischen Laufbahn am nützlichsten werden konnten: in der Philosophie und besonders in der Beredsamkeit. Eine Antwort, welche Cornelia einst einer Römerin in Bezug auf ihre Söhne gab, ist berühmt geworden und steht vielleicht auch hier an ihrem Platze, um den erhabenen Sinn dieser ausgezeichneten Frau genauer zu schildern. Jene sehr reich und mehr noch prachtliebend, bat diese, nachdem sie ihre Diamanten, ihre Perlen und ihren kostbarsten Schmuck vor Cornelia's Augen ausgebreitet hatte, ihr nun auch den ihrigen zu zeigen. Cornelia lenkte das Gespräch geschickt auf andere Dinge, bis ihre Söhne hereintraten, worauf sie diese der neugierigen Fragerin mit den Worten vorstellte hier sind meine Kleinodien. Groß mochte ihre Freude sein, als sie die Jünglinge zu Männern und Helden reisen sah, aber auch unermeßlich der Schmerz, als Beide in der Blüthe ihrer Jahre die Opfer ihrer Tugend und ihrer Vaterlandsliebe wurden. – Die Gracchen waren die ersten Urheber jener Staatsumwälzung, die erst nach einem vollen Jahrhunderte, gerade mit dem entgegengesetzten Ausgange, endigte, als derjenige war, den sie beabsichtigten. Das Hauptbestreben der Gracchen ging dahin, das Ackergesetz, welches den Grundbesitz der Reichen auf die höchste Zahl von 500 Acker beschränkte, und die Vertheilung des übrigbleibenden Grundeigenthums unter die armen Bürger gebot, durchzusetzen und den sämmtlichen Bewohnern von Italien das römische Bürgerrecht zu verschaffen. Nach dem Sturze und der Ermordung ihres ältesten Sohnes Tiberius, im Jahre 134 vor Chr. Geb., zog sich Cornelia auf eines ihrer Güter in Campanien, unweit des Vorgebirges Misenum zurück, wo sie ihre Tage in stiller Hingebung und in der Ausübung jener sanften Tugenden zubrachte, die des Weibes schönste Zierde sind. Zu ihrer Lieblingsbeschäftigung gehörte das Lesen gelehrter Werke, und selten mag ein weibliches Wesen so große Sorgfalt auf die Ausbildung ihres Geistes verwendet haben. Sie war ihrer Muttersprache so vollkommen mächtig, daß die ersten Redner Roms, Cicero und Quintilian, ihre Briefe bewunderten. Kaum hatte diese große Römerin erfahren, daß auch ihr jüngster und einziger Sohn sich in den gefahrvollen Strudel des öffentlichen Lebens stürzen wollte, als sie ihm wiederholt schrieb, um ihn von seinem Plane abzubringen, allein vergebens: sein Entschluß war bereits zur Reise gekommen. Es sind uns noch Bruchstücke aus Cornelia's Briefen übrig geblieben, welche die klarsten Beweise ihrer Abneigung von der Erneuerung des Streites, wie ihres hohen Patriotismus geben. Diese Bruchstücke befinden sich unter denen des Cornelius Nepos; in ihnen zeigt sich Cornelia's hoher Geist und ihr edles Herz im schönsten Lichte. Jede Zeile ist der Ausdruck einer erhabenen Seele; eines durchdringenden, in die Zukunft schauenden Verstandes, echter Vaterlandsliebe, mütterlicher Zärtlichkeit für ihre Kinder und einer kräftigen Beredsamkeit. Eine solche Mutter wäre eines schönern Looses würdig gewesen. Aber umsonst waren Cornelia's Bitten. Um das Jahr 123 vor Chr. Geburt bewarb sich Cajus um das Tribunat; sein Ehrgeiz und der Durst nach Rache wegen des gemordeten Bruders übertönten die trüben Weissagungen der Mutter; Cajus theilte das Schicksal des Tiberius. Cornelia ertrug den Tod ihres jüngsten Sohnes mit ungebeugter Seelengröße. Als sie die Botschaft erhielt, er sei in dem heiligen Haine erschlagen worden, antwortete sie mit edlem, standhaftem Muthe: die Todten hätten nun die Grabmäler, die sie verdienten. Sie blieb auch nach diesem schweren Schlage des Schicksals auf ihrem Landgute bei Misenum, nicht in einer finstern Abgeschiedenheit von der Welt, sondern in einem Kreise von Gelehrten und den vornehmsten Mitgliedern der Republik, wie es der Tochter des großen Scipio würdig war. Alle, die sie besuchten, empfanden das größte Vergnügen, wenn sie ihnen das Leben und die häusliche Einrichtung ihres Vaters beschrieb, aber zur Bewunderung riß sie ihre Zuhörer hin, wenn sie mit der größten Ruhe, ohne ein Zeichen innerer Bewegung, die Geschichte ihrer Söhne, deren Thaten und Unglücksfälle erzählte. Diese Seelenstärke erschien einigen so unnatürlich, daß sie wähnten, das Alter und die Größe ihres Verlustes hätten ihren Verstand geschwächt und ihr Gefühl abgestumpft. Wir wollen eher Plutarch beistimmen, der über jene ausruft: Thörichte, die ihr nicht wißt, wie viele Mittel ein großer Geist, eine edle Geburt und eine gute Erziehung dem Menschen an die Hand geben, die ihn über sein Schicksal erheben, und ihm den Sieg über den Schmerz erringen lassen. In Anerkennung ihrer hohen Verdienste weihten die Römer der Cornelia eine Bildsäule von Bronze mit der einfachen Inschrift: »Cornelia, Mutter der Gracchen;« aber diese wenigen Worte sind beredter, als das ausgebreitetste Lob über Mutter und Söhne.

E. v. E.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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