- Styl
Styl. Von dem Gedanken zum Ausdrucke in der kürzesten Linie! – dieß ist der erste aller Regeln des S's oder des schriftlichen Ausdrucks. Wie es aber in allen Feldern des menschlichen Wirkens und Strebens der Probierstein des Meisters ist, daß er frei walten lasse seine Individualität: so muß auch dieser schriftliche Ausdruck wahrhaft das Abbild des Innern sein, sich in ihm treu und scharfbegrenzt die Individualität des Schreibenden abspiegeln. Der S. gleicht dem Schatten: treu wie ein Echo der Sonnenstrahlen folgt er dem Wanderer, gibt liebend die Gestalt desselben zurück, als sei er gefeiet an seine Perso. Der S. gleicht aber auch der Sonne selbst; denn ein Ausstrahl des innern Lichtes beleuchtet er das Dunkel, klärt er die Nacht. Endlich ist der S. auch ein goldener Strom, der stolz einherfluthet durch das Gebirg, donnerschäumend, himmelstürmend, als gält es den Ocean zu erreichen oder zu versiegen; oder ein Bächlein, das geschwätzig durch den Wiesengrund murmelt, umwallt von kühlenden Westwinden, tränkend die Blümchen an seinen Ufern; oder auch ein bloßer Canal, um Handels- und Geschäftsverbindungen zu eröffnen oder fortzusetzen. Aber durch alle die Verzweigungen der Gedanken und Bilder, durch die ganze Landschaft der Diction (s. d:) und den kunstvollen Bau der Perioden muß sich immer der eine charakteristische Faden schlingen der eigenen, selbstbewußten Individualität. Nur dann hat der Gebildete, was jeder Gebildete haben sollte, – einen eigenthümlichen S., und mit Recht that in dieser Beziehung Büffon den berühmten Ausspruch: le styl c'est l'homme! Doch nicht so leicht ist es, sich selbst und den Stoff zu bewältigen; ausdauernde Uebung nur führt zu der elastischen Kraft, sich selbst zusammenfassen zu können und seine Gedankenwelt in den kleinen und begrenzten Rahmen der Diction; zur Fertigkeit und Präcision, zur Kürze und charakteristischen Bestimmtheit des Ausdrucks, zur Natürlichkeit der Sprache nuß noch kommen die liebende Wahrheit, die sich selbst gern in den Gegenstand der Schilderung verliert, die Ordnung in den Begriffen, ne das Gleiche nur mit dem Gleichen verknüpft, die Klarheit und Deutlichkeit, welche, siegreich über dem Stoffe schwebend, ihrer selbst und ihrer Zwecke bewußt, alle die kunstvoll verschlungenen Fäden zu einem Ziele führen; die äußere Correctheit, welche sich streng, aber mit flüssiger Gewandtheit, den grammatischen Gesetzen unterwirft und den Genius der Sprache emsig belauscht. Und ist so der Schreibende sicher, dann erst trete die Zierlichkeit hinzu, »denn nur aus vollendeter Kraft blicket die Anmuth hervor.« Die Schönheit des S's, wie die der Rede, zeigt sich aber in der Kunst sinnreicher Verschlingungen, in der Würde und Mannichfaltigkeit der Darstellung, in dem Wohlklange der harmonischen Perioden, in der Rundung und Glätte, in der weisen Pointirung der Diction. Doch wer könnte mit Worten erschöpfen, was der eigene Kunstsinn schaffen und finden, was das innere Ohr selbst erlauschen, was die Erfahrung eines Jeden an der Hand fleißiger Nachbildung und unbefangener Freiheit sich selbst entdecken muß? Zudem sind Regeln nur Lineamente, nur dürres Gebein; aber die Fülle des Fleisches, die Rundung der göttlichen Form kann und darf nie ganz gezwängt werden in den Gürtel systematischer Gesetze, legaler Formen und Vorschriften der Schule. – Gewöhnlich nimmt man 4 Hauptarten des S's an: den Lehrstyl, – ein freundlicher Docent oder Lector, der beweist und überzeugt je nach der Individualität und der Vorstellungsweise seiner Schüler, fließend und gewinnend, doch nicht auf Kosten der Wahrheit, erklärend, sichtend, verständig ergründend, doch nicht auf Kosten der Schönheit, Gefälligkeit und Unterhaltung; den Geschichtsstyl,.– ein lebendiger Erzähler der Begebenheiten der Welt oder des Tages, ein unterhaltender Schilderer der Erscheinungen, klar und fließend, erwärmend und alle jene Gefühle hervorrufend, wie sie der Gegenstand der Betrachtung erfordert; den Geschäftsstyl, wo die Schönheit zurücktritt, um der Kürze und Bestimmtheit, dem Zusammenhange und der Ordnung und Deutlichkeit den Vorrang zu lassen; und in den Briefstyl (s. Brief), der bald als duftender Liebesbote, bald als ein vertraulicher Neuigkeitsplauderer, bald als weinender Beileidstragender etc. erscheint, – ein besonderer Gönner und Freund der Frauen, die, wie eine Sévigné, eine Ninon, eine Staël es bekunden, durch die graziöse Flüchtigkeit ihres Naturells, durch ihre liebenswürdige Naivität, gefühlvolle Leidenschaftlichkeit und durch den reizenden, für Alles sich interessirenden, – man verzeihe das Wort! – Kleinlichkeitssinn, der ihnen so eigen ist, besonders in dieser leichtbeschwingten, mehr tändelnden, liebenswürdig unordentlichen Gattung des S's, wie auf ihrem eigenthümlichen Terrain glänzen. Doch darf diese Einfachheit und Natürlichkeit, dieses bezaubernde Sichgehenlassen nicht über einen gewissen Grad von anmuthiger Nachlässigkeit hinausgehen, und es kann nur wiederum Sache des eigenen Gefühls sein, die Mittellinie des Richtigen hierin zu treffen. Und doch hat es nicht bloß die Vergangenheit, sondern auch die neuere und neueste Zeit siegreich bewiesen, daß Frauen als Stylistinnen und Schriftstellerinnen in allen Feldern der Diction wahrhaft Würdiges und Dauerndes schaffen können. Gerade jetzt mehrt sich die Zahl der Frauen immer mehr, die sich die Sprache zu unterwerfen wissen und mit ihren Bestrebungen auch öffentlich hervortreten auf die Arena der Literatur. Darum sei es mus auch erlaubt, hier gleichsam als eine praktische Folgerung unserer Betrachtungen über den S. die mehr oder minder große Nützlichkeit oder Schädlichkeit, – denn für beides haben sich namhafte Stimmen ausgesprochen – der Damen-Schriftstellerei zu erörtern. Der schöne, große, eigenthümliche Beruf jeder vernünftigen und wahrhaft gebildeten Frau ist allerdings, Gattin, Hausfrau, Mutter zu sein, als Gattin den Mann zu beglücken, als zärtliche und treue Mutter, selbst mit Entsagung aller Reize des zerstreuenden Lebens, im stillen Familienkreise häusliche Zufriedenheit und Segen zu verbreiten. Bei so vielen Beschäftigungen, welche der Hausfrau obliegen, dürfte daher wohl zu besorgen sein, sie werde, wenn sie als Schriftstellerin auftrete, leicht in Gefahr kommen, jenen heiligen Beruf nicht in vollem Maaße zu erfüllen und im Allgemeinen beides schwer mit einander vereinigen zu können. Dennoch beweist die Erfahrung das Gegentheil, da in der That viele Schriftstellerinnen (wie eine Friederike Lohmann, Sophie Ludwig, Engelhard geb. Gatterer) allen ihren häuslichen Pflichten gewissenhaft nachkamen. Allein, haben denn auch alle Frauen Gattinnen- und Mutterpflichten? bleibt manche nicht einsam und findet nimmer einen Gefährten des Lebens? Entbehrt nicht manche Gattin für immer der süßen Mutterfreuden oder vereinsamt früh durch den Tod ihrer Geliebten? Findet nicht manche den einzigen Trost für tiefen Schmerz in der Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft? Oder suchen sich andere nicht dadurch vor bitterem Mangel zu schützen, wie die Marquise von Souza, wie die unglückliche Gabriele von Batfany? Es leben Schriftstellerinnen in glücklichen und unglücklichen Ehen; es gibt unglückliche Ehen unter allen Klassen der menschlichen Gesellschaft; und trägt denn die Gattin jedesmal die Schuld? Zudem muß auch das Interesse der Kunst hierbei selbst sein Uebergewicht in die Schale legen. Wie das Weib im ganzen übrigen Leben den Mann, so ergänzt auch die weibliche Literatur die männliche, das Eduktive: das Produktive, das Zarte: das Gewaltige. Die Ideale, die Gefühlswelt des weiblichen Busens vollenden erst wahrhaft die harmonische Kette der Dichtung, und offenbar besitzt die schönere Halbschied des menschlichen Geschlechts besondere Talente und Eigenschaften, eine größere Gewandtheit des Geistes und der Phantasie, eine zeitigere fortschreitende Ausbildung seiner Anlagen, eine feinere und größere Menschenkenntniß, tactvollere Lebensklugheit, schärfere Beobachtungsgabe, und jenes außerordentlich seine Gefühl des ästhetisch und moralisch Schönen und Schicklichen, welches alles in seiner Vereinigung, im Felde der Poesie, der Erzählung, der Beschreibung, brieflicher Mittheilungen, vorzüglich auch in der weiblichen Pädagogik eigenthümliche und köstliche Blüthen treiben muß. Daher Ehre den Frauen, die durch ihre Schriften wirklich das Gefühl für das wahrhaft Schöne und Gute wecken, verbreiten, unterhalten! – Styl in der Kunst, Kunststyl. Die Darstellungsweise in der bildenden und Baukunst zerfällt nach den Zeitaltern in den altorientalischenoder symbolischen S., welcher nach dem Seltsamen und Ungeheuren strebte, den griechischen, klassischen oder antiken S., dessen eigentliche Aufgabe die ästhetische Idealität war, und welcher wiederum 4 verschiedene Perioden zählt. Während der alt-griechische S. (800–540 v. Chr.) sich in der Entwickelung einer übermäßigen Kraft gefiel und der gewaltige S. (von 540 bis auf Phidias) voll Größe, ohne jedoch erhaben und ideal zu sein, meist die Natur treu nachzuahmen strebte, erblühte die griechische Kunst in den hohen und schönen S. zur ernsten Majestät und heitersten Anmuth empor. Dem klassischen S. entgegengesetzt ist der romantische oder christliche, welcher sich besonders vom 14. Jahrh. an herrlich entfaltete in heiliger Sehnsucht nach dem Göttlichen und Ewigen. In dem modernen S. ist das antike und romantische Element gemischt. Die verschiedenen Nationalstyle nennt man Schulen, weßhalb man von einer italienischen, niederländischen etc. Schule spricht; und nach Maßgabe der darzustellenden Gegenstände und ihres Charakters unterscheidet man in der bildenden Kunst einen architektonischen, plastischen, malerischen etc., in der Malerei insbesondere einen Historien-, Landschaftsstyl etc., in der Poesie den epischen, dramatischen, lyrischen etc., und in der Musik den strengen oder gebundenen S., welcher nach den strengen Regeln des reinen Satzes kunstvoll-thematisch verfährt, wie der Kirchenstyl, von dem freien oder ungebundenen, in dem die Phantasie und das erhöhte Gefühl freier waltet, wie der Concert-, Theater-, Opernstyle etc. – Jeder wahre Künstler hat aber auch einen selbstständigen, individuelle S., der, wenn er objectiv, d. h. mit dem darzustellenden Gegenstande innig verwebt ist, aus demselben gleichsam selbst erst hervorgegangen zu sein scheint, der S. des Künstlers im eigentlichen Sinne genannt, bei vorwaltender Subjectivität aber Manier wird. Diese Manier wird von den Schülern wieder nachgeahmt: – so entsteht der manierirte S.
–r.
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