- Cleopatra
Cleopatra. Es gibt Charaktere in der Geschichte, welche hie Welt durch ihren Einfluß auf die Ereignisse in Erstaunen setzen, deren Mangel an moralischer Würde aber keine Liebe, keine Verehrung, sondern nur ein kaltes Bewundern, ein schmerzliches Bedauern über die falsche Anwendung großer Eigenschaften, wo nicht gar Verachtung, zuläßt. Was ist namentlich das Weib mit allen Reizen, allen geistigen Kräften, allen holden Talenten, ohne den Demant aller dieser Reize, ohne die edle Weiblichkeit? Das Weib ist bei allen großen Eigenschaften weniger groß als der Mann, fehlt ihr die zarte Sittsamkeit, die sonnengleiche Milde, die Sanftmuth und die fromme Ergebung. Cleopatra war berufen, durch ihre Gaben in der Welt zu glänzen und segensreich zu wirken; sie zog es vor, auf Kosten ihrer Eitelkeit und Herrschsucht, Blut zu vergießen, Bürgerkriege zu entzünden, namenloses Unglück zu säen und durch Selbstmord schmachbedeckt zu enden. – Julius Cäsar, Roms Dictator, kam nach Alexandrien, als Cleopatra, Gemahlin und Mitregentin ihres Bruders Ptolemäus von dem Vormund desselben, Pothinus, ihres Antheils an der Regierung beraubt, nach Syrien geflohen war, um von da aus ihr Recht mit Gewalt der Waffen geltend zu machen. – Cäsar, bestochen durch Cleopatra's Jugend und seltene Schönheit, warf sich zum Vermittler auf und setzte es nach einem hartnäckigen Kriege durch, daß sich Cleopatra nunmehr nach dem Tode ihres ältern Bruders und Gemahls dem jüngern Bruder vermählte und zur Alleinherrscherin von Aegypten erhoben wurde. Er zeugte mit ihr einen Sohn und kehrte dann nach Rom zurück. Cleopatra, die, als ihr Bruder das 14. Jahr erreicht hatte, diesen zum Mitregenten annehmen sollte, strebte nach Alleinherrschaft und vergiftete deßhalb den eigenen Bruder, der ihr jene Würde streitig machte. Sie ging darauf nach Rom, um durch die Macht ihrer Schönheit das Volk zu bezaubern, dessen Dictator sie in ihre Fesseln geschlagen hatte. Cäsar empfing sie ihres Ranges würdig, seine Liebe bereitete ihr einen der größten Triumphe, denn er ließ im Tempel der Venus ihre Bildsäule neben der der Göttin aufstellen. Das Volk, zwar geblendet von der zauberischen Allmacht der fremden Königin, murrte dennoch über eine solche Entweihung der heiligen Stätte, und Cleopatra kehrte nach Aegypten zurück.– Bald darauf fiel Cäsar unter den Dolchen der Verschworenen. Die Mörder flohen und fanden – so hieß es – Schutz und Unterstützung bei Cleopatra. An der Spitze der römischen Herrschaft standen jetzt drei Helden: Antonius, Octavius und Lepidus. – Antonius, vielleicht der schönste Mann seiner Zeit, der mit einer Sängerin als Herkules und Omphale verkleidet auf einem mit Löwen bespannten Wagen ganz Italien durchzogen hatte, eilte jetzt mit einer Flotte nach Kleinasien, um sich an die Spitze des Heeres zu stellen. An Ciliciens Küste gelandet beschied er Cleopatra vor sich. Sie sollte sich von jenem Verdachte, der gegen sie obwaltete, reinigen. – Und Cleopatra erschien, aber nicht als Beklagte, mit thränenden Augen, gelöstem Haar, tiefer Betrübniß in den Mienen, nicht mit Beben und Zagen vor dem Richter: nein! sie hatte sich anders gerüstet, um seine Strenge zu entwaffnen. Beim Schalle der Flöten und Cymbeln schwamm über die blauen Wogen hell wie ein Schwan, mit Gold und Purpur geschmückt, eine Galeere heran. Am Bord derselben lag auf seidenen Kissen unter funkelndem Thronhimmel, als Venus gekleidet, Cleopatra. Mädchen und Knaben in reizender Tracht umgaukelten sie als Nymphen und Amoretten.– Gesänge ertönten und die Königin lächelte süß wie die Liebesgöttin, und war so schön wie diese, da sie dem Meere entstiegen im Triumphzuge nach der Küste schwamm. Als Cleopatra bei Cäsar hilfeflehend erschienen war, da war sie nur jung und schön wie Aphrodite. Seit jener Zeit waren die Reize geblieben, aber zu ihnen gesellte sich noch die Kunst zu gefallen, die Klugheit des gereifen Geistes und tausend Eigenschaften der Koketterie, durch die sie ihres Sieges über jeden Mann von gewöhnlichem Charakter sicher war. Zeitgenossen erschöpfen sich in der glänzendsten Schilderung ihres heitern und doch sinnigen Wesens, ihrer Anmuth, ihres bezaubernden Blickes, des herzgewinnenden Lächelns, der zarten Schmiegsamkeit ihres Wesens, der Süßigkeit ihres hinreißenden Gesanges und ihrer bezaubernden Rede. Und dennoch leuchtete, aus allem ihrem Wesen, die Kö nig in hervor! – Als sie so vor Antonius erschien, zu seinen Füßen sinken wollte – war der Krieger besiegt und nur der galante Römer zeigte sich in der feurigsten Huldigung, welche er ihr von da an darzubringen strebte. Von diesem Augenblicke wechselten Feste, Spiele und Lustbarkeiten aller Art. – Antonius, wie seine Umgebung, schien ganz bezaubert; es war von keiner Klage, von keiner Rechtfertigung mehr die Rede, der Held Roma's schmachtete in den Fesseln der neuen Circe. Antonius ließ die Waffen ruhen und schwelgte wie ein Gott in Aegypten. Sie war stets um ihn, aß, trank, jagte, würfelte mit ihm, sang ihn mit holder Stimme in den Schlummer und erweckte ihn nur, um ihm neue, prächtige Schauspiele zu geben. Er, der sonst flatterhaft, sich leicht aus den Fesseln einer Geliebten gewunden, um einem neuen Sterne zu folgen, fühlte hier seine Macht gebrochen. Aber Antonius hatte eine Gattin in Rom. Fulvia war häßlich, aber voll männlichen Geistes. Nicht des Antonius Treulosigkeit, wohl aber seine Schwäche, seine Sorglosigkeit empörte sie. Er schlummerte in den Ketten der Zauberin, während ihm seine Gegner in Rom die Weltherrschaft zu entreißen drohten. Fulvia bot von Rache und Ehrgeiz erfüllt dem Octavius ihre Hand an; aber er verschmähte sie. Das gedemüthigte Weib sammelte jetzt ein Heer und wollte Italien erobern, aber sie wurde geschlagen und entfloh nach Griechenland. Antonius erwachte auf einen Moment, denn er sah die wachsende Macht des Octavius und seiner Gegner, die ihm Alles zu entreißen drohten. Er fand seine Gattin in Athen, beschuldigte sie, durch ihre unbesonnene Handlung Zwietracht zwischen ihm und Octavius entsponnen zu haben und demüthigte das gekränkte Weib nur noch mehr. Sie starb. Der Friede wurde vermittelt, die Hand der Octavia (Schwester des Octavius), welche Antonius verlangte, sollte ihn für immer befestigen. Octavia (s.d.) war schön und geistvoll, hingebend bis zur Aufopferung. Zwei Jahre fesselte sie den Antonius, der Aegyptens Königin vergessen zu haben schien; da fielen die Parther in Syrien ein und Antonius eilte an der Spitze eines Heeres dahin, um die übermüthigen Feinde zu züchtigen. Er ließ Octavia in Italien und eilte nach Antiochia, Syriens Hauptstadt. Hier war er wieder in der Nähe der Geliebten. Mit tausendfachem Reiz geschmückt tauchte ihr Bild in seiner Erinnerung auf, er konnte die Sehnsucht, sie wieder zu sehen, nicht unterdrücken, er rief sie zu sich und sie erschien. Mit erneuter Gluth ward er der Ihrige, schmachtete als Sklave zu ihren Füßen. Er schenkte ihr, als wäre er Roms Alleinherrscher und hätte die Eroberungen der Republik zu vergeben, Cypern, die Küsten von Phönizien, Creta, Cilicien etc. Endlich, nachdem er einen Winter durchschwelgt, zog er dem Feinde entgegen; aber sein Geist war bei der Geliebten geblieben und er froh, durch seine Niederlage – uneingedenk der eigenen Schmach – den Feldzug schnell beendigen zu können. Er eilte wieder nach Aegypten zur Königin zurück. – Octavius, empört über seines Schwagers doppelt schmähliches Betragen, wollte schon zum Schwerte greifen; aber Octavia, die verschmähte, hartgekränkte Octavia, wurde sein guter Engel. Sie flehte um Aufschub, sie wollte Frieden und Versöhnung vermitteln. Eilig flog sie nach Athen, schrieb an ihren Gatten und beschwor ihn, aus Aegypten hierher zu kommen. Antonius wurde tief erschüttert von der Aufopferung des edlen Weibes. Er beschloß, sich den Fesseln der Zauberin zu entwinden und zu seiner Pflicht, zur Tugend zurückkehren; er wollte heimlich, ohne Abschied fliehen. Aber Cleopatra, die ihn sorgfältig belauschen ließ, durchschaute seine Absicht. Sie warf sich weinend zu seinen Füßen, drohte sich das Leben zu nehmen, wandte alle Gewalt, deren ihre Ueberredung, ihre Liebkosungen nur mächtig waren, an, und er blieb. Von einem Streifzuge nach Armenien zurückgekehrt, zog er mit Pomp in Alexandrien ein, erklärte Cleopatra für seine einzige, rechtmäßige Gemahlin und vertheilte alle Länder des Orients unter die Kinder, welche er mit ihr erzeugt. – Octavia kehrte nach Rom zurück, nicht um ihren Bruder zur Rache, nein! um ihn zum Frieden zu mahnen. Das edle Weib wollte nicht um das Opfer eines Bürgerkriegs die blutende Wunde ihres Herzens heilen. Sie blieb nach wie vor, als wäre nichts geschehen, als wäre sie noch immer des Antonius Gattin, in seinem Palaste wohnen. Als aber Antonius seine Scheidungsacte und den Befehl an Octavia, sogleich seinen Palast zu verlassen, nach Rom schickte, da ergrimmte ganz Rom darüber. Der Krieg war nun nicht mehr zu vermeiden. Octavius erklärte, das römische Volk müsse die Waffen gegen Cleopatra ergreifen, welcher der bethörte Feldherr die Hälfte der römischen Besitzungen im Orient geschenkt hatte. Antonius hatte sich mit Cleopatra nach Athen begeben; treue Freunde suchten ihm zum Frieden zu rathen, aber die Königin folgte ihm auf allen Schritten; er beschloß den Kampf zu wagen. Noch besaß er ja die Legionen des Orients und eine mächtige Flotte. Da Cleopatra eine Seeschlacht zu sehen wünschte, so befahl er den Kampf zur See und erwartete seinen Gegner bei Actium. Aber das Schmettern der Hörner, das Getobe des Kampfes, der Donner der Wogen und das Rasseln der Pfeile erfüllten das Herz der Königin mit panischem Schrecken, sie ließ ihr Schiff umwenden; und floh mit vollen Segeln. 60 ägyptische Schiffe folgten ihr eben so schnell; noch kämpften die Römer. Kaum aber sah Antonius seine Geliebte fliehen, so vergaß er seine Pflicht und eilte ihr auf dem schnellsten Schiffe nach. Seine Ehre war längst in seiner blinden Leidenschaft untergegangen. Octavius hatte gesiegt. Und Antonius? Er vergaß bald in den Armen der Geliebten, unterxauschenden Festlichkeiten seine Schmach und die drohende Gefahr. Anders Cleopatra: der neue Sieger konnte ja ein neuer Besiegter, ein von ihr Besiegter werden; Antonius Gestirn ging unter, jenes des Octavius stieg mit aller Pracht und Herrlichkeit empor. Während ihre Liebkosungen Antonius einschläferten, unterhandelte sie heimlich mit Octavius und machte so, eine schon eingeleitete Versöhnung zu nichte. Octavius nahte sich jetzt zu Wasser und zu Lande. Antonius ging ihm noch einmal entschlossen entgegen; aber beim Anbeginn des Kampfes floh Cleopatra abermals. Jetzt dämmerte es in seiner Seele fürchterlich. »Sie hat mich verrathen!« rief er und floh nach Alexandrien zurück. – Cleopatra hatte sich inzwischen in dem prachtvollen Mausoleum neben dem Tempel der Isis, welches sie für ihr dereinstiges Grabgewölbe bestimmt hatte, verborgen, und von ihrer Dienerin die Nachricht verbreiten lassen, als hätte sie sich selbst getödtet. – Antonius, noch einmal ihrer hingebenden Liebe trauend, ergriffen von diesem Opfertode, durchbohrte sich mit dem Schwerte, indem er ausrief: »Bald werde ich mit Dir vereinigt sein!« – Aber die Wunde tödtete nicht sogleich, mit dem Tode ringend erfuhr er, daß Cleopatra lebe; er ließ sich zu ihr hintragen und starb in ihren Armen. – Cleopatra befand sich jetzt in des Octavius Gewalt; alle Lockungen ihrer Schönheit, alle Künste wandte sie an, um auch über ihn den Sieg davon zu tragen Aber umsonst. Octavius behandelte sie zwar als Sieger edel und mit allen der gefallenen Größe gebührenden Rücksichten; aber es wurde ihr bald klar, daß er sie nur tröste und ermuthige, um sie von einem Selbstmorde zurückzuhalten. Denn er wollte durch sie, die mächtige noch immer unübertroffene schöne Königin, seinen Triumphzug in Rom verherrlichen; vor seinem Wagen sollte sie in goldenen Fesseln einherschreiten, und dies Bild sollte dem Stolz des römischen Volkes schmeicheln und den Glanz von des Imperators Thaten erhöhen. – Diesen Gedanken konnte ihr Stolz nicht ertragen. Inzwischen wurde sie streng bewacht, da Octavius ihren Entschluß ahnte. Dennoch gelang es einer treuen Dienerin, ihr in einem Körbchen unter Früchten und Blumen eine lebende Natter zu bringen; sie legte sich diese, während sie zum Scheine Anordnungen zu einem Feste treffen ließ – an denArm und verschied in Folge des Bisses wenige Minuten darnach ohne Schmerz. Sie wurde in jenem Mausoleum neben Antonius beigesetzt (im Jahr 30 vor Christus). Ihr wohlgetroffenes Bildniß mit der Schlange am Arme prangte bei des Octavius Triumphe, so auch ihre mit Antonius erzeugten Kinder. – Um Wissenschaften und Künste hatte sie sich während ihrer Regierung vielfach verdient gemacht; sie ließ kolossale Gebäude errichten, die zum Theil noch jetzt in ihren Trümmern Staunen und Bewunderung erregen. Cleopatra starb in ihrem 39. Lebensjahre und im 22. ihrer Regierung.
–n.
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.