- Kochkunst
Kochkunst. Dieser jetzt so wichtige Industriezweig erreichte erst im Laufe der Jahrhunderte den Grad der Ausbildung, welchen die Produktionen englischer und französischer Kochkünstler gegenwärtig in sich tragen; aber nichts desto weniger kannten auch frühere Zeiten bereits ein Raffinement hinsichtlich der Tafelfreuden, deren Beschreibung uns oft kaum glaubwürdig vorkommt. Gleich den Trachten und Gewohnheiten im häuslichen und bürgerlichen Leben hatte auch jede bedeutende Nation der Vergangenheit ihre eigenen Begriffe von Wohlgeschmack der Speisen, und obschon wir von dem, was man die Kochkunst der Urvölker nennen möchte, eigentlich gar nichts wissen, so haben sich doch von den Tafelangelegenheiten der Römer die genauesten und merkwürdigsten Nachrichten erhalten. Im alten Griechenlande legte man diesen Genüssen einen weit geringern Werth bei, und die Frauen besorgten daheim mit ihren Sklavinnen die Küche, während im Feldlager die Helden selbst sich nicht schämten, die am Spieße duftenden Braten zu beaufsichtigen oder selbige der glimmenden Kohle des Opferheerdes zu übergeben, damit sie theilweise den Göttern, andererseits dem Magen der Opfernden dienten. Von der eigentlichen Kunst bei der Speisenbereitung scheinen indeß jene sonst so seinen Griechen wenig verstanden zu haben, und demnach ist auch von all' ihren Küchenrecepten nur der Name der berühmten schwarzen Suppe von Lacedämon auf die Nachwelt gekommen. Ein Anderes war es mit ihren Erbfeinden, den Persern, deren Ueppigkeit auch in den Gastmählern sich kund gab, wie denn überhaupt die ersten Künste der Küche aus Asien nach dem damals jugendlichen Europa übergegangen sein sollen. Wunderbar erscheint es hierbei, daß der Orient, diese große Schule für den Luxus, auch in jener Hinsicht nicht nur längst von den europäischen Leckermäulern übertroffen ward sondern daß er jetzt sogar als Muster der Frugalität dienen kann. Die mächtigen Ueberwinder jener Schwelger waren einfache, durch ihre Einfachheit thatkräftige Völker, welche die Weichlichkeit ihrer Besiegten viel zu sehr verachteten, um sie anzunehmen. Die Morgenländer kennen nur einfache Nahrungsmittel, den Pilaw, einen pyramidalisch servirten Reismus, kunstlose Fleischgerichte und Confituren, doch diese von erster Schönheit. Rom, die Weltbeherrscherin, zeichnete sich, als sie noch Republik war, durch gleiche Genügsamkeit aus, allein mit dem Prunke ihrer spätern, weniger ruhmvollen Jahre trat auch der höchste Glanz der Schmausereien ein. Riesenmäßig, wie in Allem, was jene stolzen Kinder der Siebenhügelstadt unternahmen, erscheinen sie auch im Uebermuthe ihrer Schwelgerei und aus den unterjochten Ländern strömten mit den Schätzen zugleich die Leckerbissen ihnen zu. Unbeschreiblich groß, der See abgetrotzt, dehnten sich ihre Fischhälter an den Küsten, und weite Gehege bewahrten das seltenste Geflügel. Umsonst entfalteten darin die Pfauen ihr schimmerndes Gefieder zur Augenlust, sie wurden geschlachtet und nur ihre Zunge genossen; umsonst dräuten die widrigen Gestalten der zahllosen Meerbewohner, die schlangenähnliche Müräne, die häßliche Meernessel, die Lazarusklappen, die eklen Gienmuscheln sammt der schleimigen Auster, der Sklaven Bemühungen mußten sie der See entreißen und zum Mahle ihrer Herren vorrichten. Das Zarteste, ekelhaft Weichliche liebten diese Gaumenlüstlinge am Meisten, und ehe M. Ausridius Lurco das Mästen der Pfauen erfand, galt eine Schüssel mit jungen Hunden, die noch an der Mutter gesogen hatten, für die Krone der Tafel. Alle zum Essen bestimmte Thiere wurden überdieß auf das Künstlichste gemästet; denn da den Alten die Butter völlig unbekannt war, so mußte jeder Braten fett genug sein, um in seinem eigenen Fette zu schwimmen. Außerdem sott man, wie noch heute in Italien, in Oel; da aber natürliches Fett den Vorzug hatte, so war ihnen auch die Feigenschnepfe, die nur ein Fettklumpen ist, und Schweinefleisch das Liebste. Letzteres konnte auf 50 verschiedene Weisen zubereitet werden, und da nur die weichsten Partien für vorzüglich galten, so aßen bloß gemeine Personen die Schinken. Ganze Schweine auf einmal braten zu lassen, war nicht selten, und es wird erzählt, daß, als einst Antonius der schönen ägyptischen Königin Cleopatra einen Schmaus gab, mehrere Dutzend an den Spießen schmorten. Jedes davon war eine halbe Stunde später angesteckt worden, um im Augenblicke des Servirens gerade dasjenige unter ihnen auswählen zu können, welches da den höchsten Grad der Schmackhaftigkeit erreicht hatte. Ein gebratenes Schwein, dessen Leib mit vielen andern kleinern Braten gefüllt zur Tafel gebracht wurde, hieß das trojanische und bildete das Hauptstück einer prunkvollen Mahlzeit. Eine solche vollkommene alte Mahlzeit bestand aus drei Haupttheilen, der Vor-, Mittel- und Nachkost. Erstere sollte bloß zur Schärfung des Appetites dienen und bestand nur aus kalten Schüsseln, als: Austern, marinirten Fischen und sauren Gerichten, die wir Salate nennen. Meth und scharfe magenreizende Weine trank man dazu. Die wirkliche Schlacht, wie es die Römer nannten, folgte auf dieses Vorgefecht. Sie war aus Gebratenem und Gesottenem aller Art zusammengesetzt, wobei immer eine Schüssel, die von Schweinen oder einer ganz neuen Erfindung sein mußte, das Haupt des Gastmahles genannt wurde. War dieß vorüber, so erschienen dienende Sklaven, das Schlachtfeld zu reinigen, d. h. die Schüsseln abzutragen und die Nachkost (dessert), die aus Obst, Backwerk und Confituren bestand, aufzusetzen. Unerwähnt lassen wir endlich die ungeheuern Summen, welche oft zu solch' köstlichen Festen verschwendet wurden (ein Schauspieler bot seinen Gästen eine Schüssel mit Sing- und Sprechvögeln, deren jeder 600 Fr. gekostet hatte; das Ganze kam auf 10,000 Fr. zu stehen), indem man das Seltenste und folglich Theuerste dem Wohlschmeckenden vorzog, um nur damit zu prunken. Nicht zufrieden, die köstlichsten Erzeugnisse des Thier- und Pflanzenreichs aus den entferntesten Erdstrichen mit den größten Kosten herbei zu schaffen, übten die Römer auch noch die unmenschlichste Grausamkeit, um eingebildete Leckerbissen zu gewinnen. Noch lebenden Thieren einzelne Theile des Körpers auszuschneiden, weil sie so besser schmeckten, und Fische lebend geschuppt oder mit abgezogener Haut sich zu Tode zappeln zu lassen, war etwas ganz Angenommenes. Leider geschieht noch heute zur Schande der Christenheit dasselbe in englischen Küchen, wo Lachse lebend zerstückt und Aale lebend geschunden werden, um hautgoût zu behalten. Spanferkel mit Ruthen zu Tode zu peitschen, um ihr Fleisch zarter zu machen, und Poularden wie Gänse im Finstern bei Durst und Ofengluth mit tantalischer Qual zu mästen, verstanden ebenfalls schon die Römer, und es zeigt sich zwischen ihrer Kochkunst und der neuerer Zeit hauptsächlich nur der große Unterschied des seltsamsten Würgens und jenem schon erwähnten Wohlgefallen am Weichlichen. Zum Bereiten der Confituren verwandten sie, da der Zucker später zwar gekannt, doch noch sehr selten war, meist Honig, und unsere Bonbons ignorirten sie gänzlich. Frankreich, die Hauptfabrik für diese süße Waare, wußte natürlich in seiner frühern Periode eben so wenig davon. Mit dem Kleiderluxus bürgerte auch die raffinirte Kochkunst, die sich vor den Stürmen der Kriege in Klöstern geborgen, aus Italien ein und unter Heinrich III. sahen wir sie bereits in staunenswerther Entfaltung. Pasteten, Torten, Crêmes, seine Salate auf Emailschüsseln, die in kleine Fächer zum bessern Aufputz getheilt waren, die pikantesten Fleischcompositionen u. s. w. paradirten schon damals auf den Tafeln der Großen, welche den des berühmten römischen Gutschmeckers Lucullus nur hinsichtlich der Quantität, nicht der Qualität, der Gerichte nachstanden. Unter Ludwig XIV. jedoch erlangte die französische Kochkunst erst das Recht, vorzugsweise als solche genannt zu werden. Sie soll damals die höchst mögliche Feinheit erreicht haben und steht als zarter und Geschmack reizender der englischen Kochkunst, die sich vorzüglich in schmackhafter Behandlung des Fleisches auszeichnet, gegenüber. Berühmt allenthalben sind die französischen Salate, wozu die köstlichen Essige, wie die Nähe des Südens mit seinen seinen Oelen, Früchten und Seeprodukten viel beiträgt. Amüsant ist die Anekdote von einem französischen Emigranten, der in England, wohin er sich geflüchtet, von zwei reichen jungen Herren im Gasthause höflich angegangen wird, ihnen einen Salat zu machen, weil sie voraussetzten, er müsse das als Franzos verstehen. Die klug unternommene Probe geräth zum Erstaunen, die Engländer sind entzückt und sprechen anderwärts von der Kunst des Emigranten. Er wird gesucht, profitirt vom Zufall und man holt ihn endlich als fashionable saIatmaker in die vornehmsten Häuser, wobei seine Finanzen sich wohl befanden und er nach einigen Jahren ein hübsches Vermögen erworben hatte. Das Unübertrefflichste der englischen Tafeln, was auch auf ihre Kochkunst bedeutenden Einfluß übt, ist indeß das herrliche Obst, das sie zu jeder Jahreszeit bieten, und nur die Chinesen und Japanesen vermögen durch ihre Treibhauskünste Aehnliches hervorzubringen. Die wunderschönen Früchte jener Länder entschädigen reich den Europäer, welcher das seltene Glück erfährt, Proben von chinesischer Gastfreundschaft und folglich Kochkunst zu erhalten. Wie in Allem, von den europäischen und selbst von den asiatischen Sitten abweichend, hat auch der Bewohner des himmlischen Reiches Begriffe vom Wohlschmeckenden, die uns nicht nur barock, sondern mit Ausnahme der kostbaren indischen Vogelnester, sogar abscheulich vorkommen. Schüsseln mit marinirten Regenwürmern und Fricassee von jungen Hunden gelten in China für vortrefflich. Kolossale Tintenwürmer und Rattenbraten bilden Hauptleckerbissen eines Festmahles und doppelt entzücken den eingeladenen Europäer nach solchen Vorgängern die feinsten Gemüse, die duftendsten Früchte und Blumen des Desserts. Der Römer erstickte das Federvieh im Weine, um seinen Tod kunstgerecht und sein Fleisch lieblicher zu machen, der Chinese nimmt keinen Anstand, gefallene Thiere für die Küche zu benutzen. Das Sprichwort: ländlich, sittlich läßt sich überhaupt wohl ganz besonders passend auf die Kochkunst anwenden, und wir dürfen noch gar nicht der Tataren, die das Fleisch unter den Sattel legen und es gar reiten, so wie des von alten Weibern gekauten Kawas der Südseeinsulaner gedenken, um dieß anschaulich zu machen, sondern wir verweisen nur auf das Verschiedenartige mancher Provinzgewohnheiten. Der vielgerühmte westphälische Pumpernickel z. B. kann einem obersächsischen Magen Krämpfe zuziehen, und welche Miene würde ein Franzose machen, wenn man ihm Freiberger Bauerhasen und wendischen Hirsebrei mit Pfefferkuchen und Honig serviren wollte. Die olla potrida, ein aus den heterogensten Fleischarten zusammengemanschtes Ragout der Spanier, ihre Lieblingskost, und die derbe polenta der Italiener sagen dem an seine puddings und rostbeefs gewöhnten Engländer übel zu, wie umgekehrt die nahrhaften Fleischspeisen Altenglands der meist an laitages gewöhnten Schweizerin nicht munden, und nur Wiens unvergleichliche Bäckereien und gebackene Hähndel können sich rühmen, allen Nationen gleich zu behagen.
F.
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