Deutschland (Musik)

Deutschland (Musik)

Deutschland (Musik). (Musik.) Die deutsche Musik gleicht einem großen Park, wo grüne Rasenplätze, reizende Blumenbeete mit dem Schattendunkel hoher Eichen, rauschenden Wasserfällen, einsamen Grotten, majestätischen Götterstatuen und ernsten Grabmonumenten abwechseln. – Wer in seinen labyrinthischen Gängen lustwandelt, den ergreift ein Zauber süßer Empfindungen, er versinkt in die Abgründe der Natur und des eigenen Herzens. Wohl könnte der Eingang in den Garten erschrecken; er führt auf ungebahntem Weg durch rauhes Dickicht, wir begegnen altgothischen Gebäuden mit kunstreichen, aber unschön verzierten Figuren; doch bald lichtet sich die Aussicht – die hohen Bilder eines Bach, Graun, Händel, Haydn, Mozart und Beethoven begegnen uns und beflügeln den Schritt nach einer Anhöhe, von der man den ganzen Garten überschaut. Da zeigt sich in der Ferne ein schimmerndes wogenumspültes Land mit blumigen Ufern und Myrtenwäldern, auf das ein ewig blauer Himmel herniederlacht – Sirenen tauchen aus den Fluthen und stimmen schmeichelnde Lieder an, eine warme Luft trägt die Klänge näher und näher, die Umrisse werden deutlicher, und entzückt ruft man aus »Italien!« Aber man sehnt sich doch nicht aus dem Garten hinüber. Die deutsche Musik ist Ausdruck des tiefsten Gemüthes; in ihr waltet ein schönes freies Spiel aller Seelenkräfte; der Verstand gibt ihr den symmetrischen Bau, die Phantasie den originellen Schwung und das Gefühl den göttlichen Gehalt. Eine mehr sinnliche Richtung verfolgt besonders in den neuern Zeiten die italienische. Die beiden Schwestern entsprangen aus einer Wiege; aber sie wurden getrennt aufgezogen. Die Tochter des Nordens erscheint als eine hohe, edle Gestalt, deren schöne Seele ihre Züge wieder spiegeln; ihr fester, würdevoller Gang zeigt ein fast männliches Streben; in ihren Blicken herrscht der Tiefsinn und spricht von großen Gedanken. Sie liebt die Freuden des Lebens, aber sie kennt ein Höheres; in ihrer Brust glüht die heilige Flamme der Religion, ihre Freuden wurzeln ein in den romantischen Partieen der Natur, in den geheimsten Tiefen des Menschengeistes, sie ist das Echo gewaltiger Leidenschaften, aber auch die wundersame Trösterin der treuen Liebe! Das Kind des Südens ist das Bild verführerischer Sinnlichkeit, geschmückt mit den Reizen der Anmuth sind die malerischen Formen; aus ihrem dunkelglühenden Auge blitzt ein verzehrendes Feuer; – sie will genießen, leben und sich jeder schmeichelnden Woge des Daseins überlassen, sie will lieben, aber ihre Neigung läßt sich nicht die Flügel binden, sie huldigt dem Moment. Der Ernst ist ihrem Hange zur Geselligkeit unbequem, und so verflattert sich ihr Leben in den Vergnügungen des dolce far niente. Die deutsche Schwester schilt sie wegen ihres leichten Sinnes; sie gibt ihr lachend andere Vorwürfe zurück; aber doch ist jede heimlich bemüht, sich das Gute von der andern anzueignen. Der Ursprung der deutschen Musik führt uns in die germanischen Wälder zurück, wo wir nur rohe Bardengesänge und Kriegsmusik finden. In späterer Zeit ließ Karl der Große Gesanglehrer aus Italien kommen, die sich sehr über die rauhen Kehlen der Deutschen beklagten, und fast verzweifelten, bei solchen Barbaren etwas auszurichten. Doch der christliche Gottesdienst beförderte die Musik, die Noten wurden erfunden, die meisten unserer jetzigen Instrumente kamen auf, Gesang und Orgel herrschten in den Kirchen. In der Zeit der Reformation entstanden viele schöne Choralmelodieen; der beruhmte Niederländer Orlando Lasso, Kapellmeister in München, wirkte durch eine Menge vortrefflicher Werke fast auf alle Nationen. Durch den dreißigjährigen Krieg wurde das Gedeihen der Musik unterbrochen, doch bald blühte sie besonders in Wien wieder auf. Auch in Sachsen fand sie eine günstige Heimath; aber erst seit dem 18. Jahrhunderte treten die Namen , Hasse, Händel, Sebastian und Phil. Em. Bach, Benda, Naumann, Graun, Gluck u. A. gleich leuchtenden Gestirnen hervor. Die Entstehung der Oper verdrängte mehr und mehr die pedantischen Formen eines dürren Kirchenstils mit seinen contrapunktistischen Künsteleien; die ganze Musik gewann durch das Theater einen freiern und lebendigern Schwung. So wurde die Erscheinung Haydn's, Mozart's und Beethoven's vorbereitet. Alle drei mußten sich aus den ungünstigsten Verhältnissen emporarbeiten, alle drei wurden anfangs wenig verstanden, und erscheinen erst der Nachwelt als die Größten. Jeder von ihnen bewegte die Kunst mit Riesenschritten vorwärts. Eine Composition Haydn's gleicht einer symmetrisch gebauten heitern Landkirche, ein Werk Mozart' s einem prachtvollen Palaste, und ein Werk Beethoven's dem lustig durchbrochenen Straßburger Münsterthurme, oder einer gothischen, mit Arabeskenschmuck verzierten Kreuzthurmkirche in Mailand, oder einem phantastischen Feenschloß. Auch der in Italien geborne und in Paris lebende Cherubini gehört als Musiker wegen seines gründlichen und tiefen Strebens den Deutschen an. Die mit den bunten Farben des Lebens und schimmernder Phantastik ausgestattete Oper hatte über ihren einfachern Vorläufer, das Oratorium, gesiegt, sie war Schooßkind des Publikums geworden; daher wandten sich ihr mit besonderer Vorliebe die Kräfte der besten Componisten zu. Einen Mittelweg zwischen Mo art und dem ihm nachfolgenden Rossini hatte Paer eingeschlagen; doch fehlte ihm des Erstern Tiefe und des Zweiten Genialität. Höher steht Mehul, der würdige Schüler Gluck's; seine Werke tragen ein deutsches Gepräge. Weigl zeichnete sich im Gebiete des Lieblichen und Idyllischen aus. Jetzt erschienen die Tage, wo gebeugte Völker sich aufrichteten gegen Den, der die Welt in Fesseln schlug; die auflebenden Gefühle des Heroismus und der Vaterlandsliebe bildeten eine neue Epoche; alles Wollen und Thun träumte von Triumph und Größe; die Helden aller Nationen zogen in Paris ein; da trat Spontini auf, und lieh den ernstern und gewaltigern Empfindungen der siegtrunkenen Welt eine gewaltigere Sprache. Auch dieser Componist gehört der deutschen Schule an. Bei seinen Opern sah er mehr auf die Wirkung des Ganzen; diese ergreift, indem die einzelnen Stücke weniger interessiren. Von ihm datirt sich eine größere Fülle in der Instrumentation, die jedoch oft in Ueberladung ausartet. Nach den Befreiungskriegen, wo man das Altdeutsche trieb und alle alte Sagen auftauchten, erschien der geniale C. M. von Weber. Dieser sah, Spontini gerade entgegengesetzt, mehr auf das Einzelne, als auf das Ganze. Er gewann wegen seiner vielen volksthümlichen Elemente die ausgebreitetste Popularität. Zu den besten neuen Operncomponisten der Deutschen gehören noch Spohr, Marschner, Meyerbeer, Lindpaintner und Reißiger. In der Symphonie und Instrumentalmusik leisteten nach Beethoven, Spohr, Ries, Kalliwoda und Mendelssohn-Bartholdy (letzterer in seinen drei großartigen malerischen Ouvertüren) Vortreffliches. – Die Concertmusik der Virtuosen erreichte ihren höchsten Gipfel, doch artete sie in eine Sucht aus, alle nur ersinnlichen mechanischen Schwierigkeiten zu überwinden. Besonders wurde das Pianofortespiel zu einer erstaunlichen Höhe ausgebildet. Hummel, Ries, Moscheles, die Damen Blahetka und Belleville , Kalkbrenner, Czerny und Herz schienen das Gebiet der Virtuosität erschöpft zu haben; doch schon in Beethoven's und Franz Schubert's wunderbar tiefsinnigen Klaviercompositionen lagen die Keime einer neuen und höhern Richtung, die Chopin zuerst verfolgte, und die, obwohl noch mit heftigen Gegnern kämpfend, in Deutschland mächtigen Anklang fand. Das Pianofortespiel war zur leeren Klimperei geworden, man trieb sich in abgedroschenen bedeutungslosen Phrasen umher; da verlangte eine moderne Schule auf einmal tiefern Gehalt und für die hohle, geistlose, mit nichtssagendem, modischem Flitterputz ausstaffirte Mechanik, Poesie und romantischen Schwung. Die erste bedeutende Virtuosin, welche die neue Bahn einschlug, war Clara Wieck. Man muß bedauern, daß die namentlich im Mittelalter von den Frauen geliebte Harfe immer mehr in Vergessenheit geräth und nur die verstorbene Gattin des berühmten Spohr hat in neuerer Zeit dieses Instrument mit Glück cultivirt. Deutschland ist wie Italien das Land der Musik; selbst den größten italienischen Sängerinnen können wir mit Stolz eine Mara und Henriette Sonntag entgegensetzen, und unter den Componisten Italiens steht keiner unserm Haydn, Mozart und Beethoven gleich. In mehrern Städten Deutschlands finden feststehende Abonnementsconcerte Statt, der vielen Liedertafeln, Gesangvereine, Quartettunterhaltungen u. s. w nicht zu gedenken. Wir haben große musikalische Theoretiker und Historiker, als Kirnberger, Forkel, Gerber, Rochlitz, Schneider, Gottfried Weberu. A. m.; es erscheinen viele musikalische Journale und Zeitungen, und bedeutend ist die Zahl der Musikalienhandlungen. Noch ist mit Beethoven das goldene Zeitalter der Musik nicht untergegangen; zwar scheint die Kunst zu ruhen von dem gewaltigen Fluge der letztvergangenen Zeit, aber die Töne klingen fort und das Echo trägt sie von Land zu Land, und auch die Gegenwart windet manchen duftigen Melodienkranz.

E. O.


http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.

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