- Rom (Frauen)
Rom (Frauen). Edle, wohlgeformte Gestalten, schöne ernste Züge, dunkles Haar und melancholische Augen, gleich denen, aus welchen Raphael's Madonnen schauen, sind noch heut, wie vor Jahrhunderten, das Erbtheil der ächten Römerin. Zerwürfnisse ohne Zahl und das Eindringen barbarischer Horden konnten das Weltreich der ewigen Roma stürzen, ihre Tempel und Palaste zertrümmern, aber nicht ganz zu vertilgen vermochten sie den hohen Adel schöner Formen, den die Natur den Besiegten, die so lange Herrscher gewesen waren, aufgedrückt hatte. In Trastevera, der Vorstadt Rom's, deren heutige Bewohner, wie die Sage geht, die wahren Abkömmlinge der alten Heldensöhne der Siebenhügelstadt sein sollen, findet der Maler noch immer Züge, die seine Phantasie willig einer Portia und Cornelia leiht, und nicht weniger bieten die Marmorpaläste der Principessen und Marchesinnen Modells zu Livien und Julias. Weniger sichtbar ist die geistige Aehnlichkeit geblieben. Die Römerin von ehemals war ein Doppelwesen nach der Zeit, die jetzige ist ein dreifaches in derselben Zeit. Ernst und einfach waltete die Republikanerin im stillen Hause, erfüllte treulich die Pflichten der Gattin und Mutter; aber nicht engherzig umfaßte ihr Gemüth nur mit selbstischer Liebe die theuern Wesen, welche gütige Götter ihr gaben, sondern gern sandte sie auch den Gemahl in die Schlacht, wenn es des Vaterlandes Ruhm und Wohl galt, regen Theil nahm ihr hoher Sinn an Allem, was dem Vaterlande geschah, und endlich weihte sie ihm auch noch die Erben ihrer Gesinnungen – ihre Kinder. Wie ganz anders die Domina, d. h. Dame unter den Kaisern. Prunksüchtig, üppig und grausam war sie der Schrecken ihrer zahlreichen Sclavinnen, die Sorge des Gemahls, der, wenn sein Amt es erlaubte, Provinzen unglücklich machte, um das erpreßte Gold ihrer Verschwendung hinzugeben. Ihre Kinder, durch schlechtes Beispiel verwahrlost, wurden Geißeln ihrer Mitbürger und der eigenen Mutter, die sie verachteten und zum Lohne ihrer fluchwürdigen Thaten nicht selten sogar eines unnatürlichen Todes sterben ließen. Wer dieß hier nur unvollkommen skizzirte Leben in seiner Pracht und Abscheulichkeit naher und auf das Interessanteste geschildert zu lesen wünscht, der nehme des unvergeßlichen Böttiger's »Sabina oder die Römerin im Putzzimmer« zur Hand und er wird seine kühnsten Erwartungen übertroffen sehen, wir aber wenden uns zur heutigen Roma. Das Mittelalter vereinigte in ihr noch Originale für beide obige Biographien; jetzt gibt es in Rom keine Republikanerin, aber auch keine Dominas, nur Damen, Frauen des Mittelstandes und Weiber des Volkes, wie überall. Lieben, Beten und Nichtsthun ist die Kette, die diese dreifache Weiblichkeit hier, wie in allen Orten Italiens, ohne Rücksicht auf Rang und Vermögen, unsichtbar umschlingt, einigt und mit jenem wunderbaren Reiz umgibt, der dem Fremden, der nicht Südländer ist, neu erscheint. Nur die Römerin besitzt außerdem noch einen eigenthümlichen Zauber, der ihr, die auf Ruinen der größten Vorwelt geboren ward, so wohl ansteht, das ist jene Melancholie der Augen, die sich in ihrem ganzen Wesen wiederholt. Derselbe Blick, der über verlorene Größe zu trauern scheint, bei der braunen Limonenverkäuferin, wie bei der römischen Fürstin. Letztere verschmäht dabei auch standhaft den zierlichen Ausputz der Wohnungen, den die Mode in andern großen Städten so oft zu ändern befiehlt. Die Paläste, welche auf dem Staube der Weltherrscherin, zum Theil aus den Ueberresten ihrer gigantischen Werke, erbaut worden, sind zu erhaben, um Frankreich's bunte Industrie und England's übertriebenen comfort in sich aufzunehmen. Die Säle der römischen Fürstin verhüllen schwere Sammettapeten, an denen vielleicht schon die Schatten der mittelalterlichen Ahnherren und Frauen hinglitten. Weltberühmte Gemälde alter Meister blicken herab auf die bewundernde Jetztwelt, und auf hohen Sockeln stehen die einst in Roma angebeteten, ewig jungen, heitern Götter Griechenlands. Neben ihnen befindet sich contrastirend und als einziger Repräsentant der Modernen – das Pianoforte; denn die Römerin lebt in der Musik, opfert ihr selbst das dolce far niente, und übt sie. Die Guitarre ist nur für das Landleben der Großen, die villeggiatura, die mit den warmen Monaten Jedermann, der es möglich machen kann, in die köstlichen Villen oder Landhäuser zieht. Dort, wie in der Stadt, kennt die vornehme Römerin das Boudoir der Pariserin nicht. Die hunderterlei künstlichen Tändeleien desselben sind werthlos für sie, die das süß beschauliche Leben der Orientalin mit der ächt italienischen Begeisterung für die Kunst im höchsten Sinne des Wortes verbindet. Dagegen fehlt es ihr nicht an dem einsamen, oft ascetisch eingerichteten Betzimmer; denn obgleich Prinzessin oder Duquesa, schämt sie sich doch nicht zu beten, und verbringt regelmäßig die auf den Carneval folgende Trauerzeit in klösterlicher Stille. Es ist so leicht zu sündigen, wenn man liebt, und die Römerin liebt glühend, rücksichtslos – nur die Religion vermag da zu trösten. Der Beichtvater, der fromme, betraute padre oder abbate, fehlt keinem weiblichen Herzen in Rom. Er ist der Hausfreund und steht zu Folge seines heiligen Berufs viel höher, als der cicisbeo, der im Laufe der Zeiten anfängt aus der Mode zu kommen. Es ist irrig, sich dieses Geschöpf, richtiger cavalier servente genannt, als den begünstigten Liebhaber der Dame zu denken. Nur selten wird ihm dieß Glück zu Theil; gewöhnlich ist er nur der obligate Begleiter und Vollstrecker der Befehle seiner launischen Gebieterin. Er muß die ihm Vertraute zur fashionablen Abendpromenade auf dem corso oder in die Villa Borghese, in's Theater, Concert, zu Gesellschaften, kurz überall hin begleiten, weil der Gemahl dieß zu lästig (seccante, im Italienischen noch härter) findet. Nächst ihm, der meist ein armer Verwandter ist, hängt von den Winken der Gebietenden eine Dienerschaft ab, die so zahlreich ist, daß sie nur vom Sclavenheer einer altrömischen Domina oder dem Dienerpersonale der russischen Großen übertroffen wird. Darunter gibt es jedoch nur wenig weibliche Individuen, weil überhaupt eine Menge Funktionen, die bei uns diesen zukommen, in Italien den Männern überlassen sind. Die Frau des Mittelstandes würde es ganz außer ihrer Sphäre finden, wenn der Mann ihr zumuthen wollte, sich um die Wirthschaft zu bekümmern. Sie versorgt ihre Kinder, die nur höchst selten Ammen bekommen, und pflegt im Uebrigen der Unterhaltung und ihres Körpers; denn wo, wie in Rom, die Schönheit Alles gilt, muß ihre Erhaltung das Hauptaugenmerk des Weibes werden. Der Mann geht auf den Markt und beschickt die Küche, wenn er nicht wohlhabend genug ist einen Diener dafür zu halten. Köchinnen gibt es gar nicht, und um selbst ganz armen Mädchen das Dienen noch mehr zu verleiden, existirt sie, wenn sie hübsch sind, noch ein anderer Erwerbszweig. Sie dienen nämlich den zahlreichen in Rom lebenden Künstlern zum Modell und erwerben sich auf diese Weise, der Sittlichkeit und ihrem Rufe unbeschadet (es ist einmal so angenommen), leicht ein mäßiges Heirathsgut. Das Talent, ganz unberechnet plastische Stellungen anzunehmen, ist den niederen Volksklassen Roms besonders eigen. Ihre bunte, malerische Tracht begünstigt diese lebenden Bilder, und nicht selten laßt sich sogar der Künstler von seinen Augen so weit fortreißen, daß er dem entzückenden Modell die Hand zum Ehebunde bietet, ein Verein, der gewöhnlich wegen der großen Trägheit und des heftigen Charakters der Römerinnen üble Folgen hat. Je tiefer sich die Leidenschaftlichkeit dieser Frauen unter kalter, ruhiger Außenseite birgt, je gefährlicher glüht sie im Innern, und die goldne Nestnadel, welche die langen Zöpfe zusammenhält, wird bisweilen zum Dolche, wenn die Eifersucht sie in Furien verwandelt. Außerdem muß man die Römerinnen bei Volksfesten beobachten. Die würdige Haltung verschwindet in der allgemeinen Aufregung und läßt Neigungen blicken, die es begreiflich machen, wie einst die Ur-Urältermütter mit kaltem, ruhigem Auge dem Martertode der Blutzeugen, den schauerlichen Kämpfen der Bestien und Gladiatoren zusehen konnten.
F.
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.