- Zigeuner
Zigeuner. Die Abstammung und Lebensweise dieses merkwürdigen Nomadenvolkes haben die Aufmerksamkeit der gewichtigsten Geographen und Geschichtschreiber schon seit vier Jahrh. in Anspruch genommen, ohne ein genügendes Resultat zu geben. Seine Einrichtungen, seine Sitten, seine Sprache, seine religiösen Begriffe, sind weder durch Zeit und Klima, noch durch Politik und Beispiel verändert worden. Wahrscheinlich stammt es aus Ostindien (aus den Gebirgen am Indus) und wurde von dort am Ende des 14. Jahrh. durch Timur's (s. d.) Einfall vertrieben; 1398 sollen ganze Horden von Z. ausgewandert und sich nun über Asien, Europa und Afrika verbreitet haben. In der Moldau erschienen sie 1416 unter eines Hauptmanns Anführung und gaben sich für aus Aegypten vertriebene Christen aus; einige Jahre später kamen sie nach Deutschland, Frankreich,. Spanien etc., machten sich aber bald durch ihr fortwährendes Herumziehen, ihren Mangel an Religion, durch Betrügereien, Raub etc. so verhaßt, daß man, wie wohl vergeblich, alle Mittel zu ihrer Vertreibung anwandte. Jetzt beträgt ihre Anzahl in Europa gewiß 400,000, wovon auf die Türkei (mit Moldau und Wallachei) etwa 180,000, auf Oestreich 120,000 (davon die Mehrzahl auf Ungarn und Siebenbürgen), auf Rußland und Polen 50,000 und der Rest auf Deutschland, Frankreich, Spanien, Großbritannien und Italien kommt. – Die Zigeuner sind von mittler Größe und schlanker Figur, haben schwarze Augen und Haare und gelbbraune Hautfarbe; die Frauen und Mädchen sind weißer und oft überaus reizend. Sie ziehen in Banden von 2–300 unter einem Hauptmann und der Z.-Mutter umher, wohnen meist in Wäldern und Höhlen, nähren sich vom Musikmachen, Kesselflicken etc., wissen geschickt Holzwaaren zu schnitzen, auf Seilen zu tanzen etc. Das weibliche Geschlecht strickt Netze und webt Zeuge, schlägt die Karte, prophezeit etc., die Kinder betteln. Von Religion ist keine Rede, doch heucheln sie an Orten, wo sie deßhalb Verfolgung fürchten, die religiösen Gebräuch des Landes; namentlich lassen sie gern ihre Kinder mehrmals taufen, um so das Pathengeschenk öfters zu erhalten. Ueberhaupt ist bei ihnen die Neigung zum Betrug und Stehlen durchaus vorherrschend; selbst Kinder stehlen sie gar häufig. Die Ehe wird früh und ohne große Ceremonien geschlossen; in Spanien (wo man sie Gitanos nennt) versammeln sich Braut und Bräutigam vor dem erwählten Oberhaupte, werfen zusammen ein irdenes Geschirr in die Luft, und die Ehe dauert dann so viele Jahre, als Stücke herunter kommen. Hier bereiten die alten Frauen besonders Liebestränke und die jungen Mädchen flechten Körbe etc. Ihre Todten begraben sie verstohlen und ohne Zeichen irgend einer Trauer. Gewöhnlich gehen die Kinder bis zum 10. Jahre nackt, aber auch später tragen die Frauen blos Hemd, Rock, Corset und Schürze. Interessant ist die Bemerkung eines neuern Reisenden über die Z. in Rußland: »Es gibt in Moskau Z.,« erzählt er, »die denen anderer Länder wenig gleichen. Mehrere bewohnen hier große und schöne Häuser, fahren in eleg. Equipagen und zeichnen sich neben den Russen durch Geistesbildung aus. Die Zigeunerinnen haben in R. seit undenklichen Zeiten ihre Stimmen so geübt, daß obgleich hier im Singen eine große Vollkommenheit herrscht, ihre Chöre doch allgemein für die ersten gelten und alle ihre Mitbewerber übertreffen. Es ist bekannt, daß die berühmte Catalani (s. d.) die Stimme einer Z., die nach jener Meisterin jedes Ohr in einem glänzenden Cirkel Moskau's entzückte, so bewunderte, daß sie einen Shawl von unermeßlichem Werthe, den ihr früher der Kaiser verehrt hatte, abnahm, die Z. umarmte, ihr denselben aufnöthigte und sagte, er sei ursprünglich für die erste Sängerin Europa's bestimmt gewesen, die sie selbst nicht sei, wie sie sich so eben überzeugt habe. Die Geldsummen, welche diese Sängerinnen verdienen, sind sehr groß und setzen sie in den Stand, jeden Luxus sich zu erlauben und ihre Männer auf fürstlichem Fuße leben zu lassen. Biele von ihnen sind an russ. Edelleute verheirathet, und wer lange in Rußland gelebt hat, weiß, daß die liebenswürdige, talentvolle und treffliche Gattin des Grafen Alexander T. von Geburt eine Z. ist und früher eine Zierde eines Z.-Chors in Moskau war, wie sie jetzt eine Zierde der Frauen und des Adels ist« – Die Sprache der Z., obwohl indischen Ursprungs, bildet jetzt ein seltsames Gemisch aller europ. Sprachen, von dem das ihr Eigenthümliche nur schwer erkannt werden kann.
S.
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.