- Sonntag, Henriette
Sonntag, Henriette, jetzige Gräfin Rossi, wurde zu Koblenz am 12. Mai 1805 von Eltern geboren, die sich selbst schon frühzeitig der dramatischen Kunst gewidmet hatten. Besonders galt der Vater im südlichen Deutschland für einen genialen und denkenden Darsteller hochkomischer Charaktere. Die kleine Henriette, ein munteres, wildes Kind, mit einem allerliebsten Silberstimmchen, war des Vaters Abgott. Im Jahre 1811, kaum 6 Jahre alt, kam sie mit ihrer Mutter zu dem Hoftheater des Großherzogs von Hessen-Darmstadt, und erregte damals schon durch ihre ungemeine Lebhaftigkeit und hübsche Stimme Aufmerksamkeit. Ein guter Genius führte Mad. Sonntag, als ihre Tochter kaum das 10. Jahr vollendet hatte, nach Prag. Hier, wo die Mutter durch ihren Künstlerwerth sich Anerkennung und Freunde erwarb, wurde auch ihres niedlichen Kindes seltenes Talent bald entdeckt und gewürdiget. Zu Gunsten desselben machte das Conservatorium mit ihr eine Ausnahme von der festgesetzten Regel, wornach die Zöglinge erst nach dem 12. Jahre aufgenommen, und eben so erst nach vollendeten 6 Lehrjahren entlassen werden dürfen. Henriette wurde im 11. Jahre schon aufgenommen, und im 15. bei einer plötzlichen Erkrankung der ersten Sängerin, gleichsam wie im Nothfall, zu der Partie der Prinzessin im Johann von Paris verwendet. Unter Angst und Thränen gab sie sich diesem ersten, ihr so gewagt scheinenden Versuche hin, aber der Triumph dieses Abends entschied für ihre ganze Zukunft, da er ihr die Entlassung aus dem Lehrinstitute, dem sie Alles verdankte, und mithin die Freiheit verschaffte, ihrem so schön und schnell emporgeblühten Talente große Vorbilder aufzusuchen. – Durch den trefflichsten Unterricht vorbereitet (sie verdankte dem großen Contrapunktisten Triebensee, Kapellmeister in Prag, ihre musikalische Theorie und höhere Ausbildung, dem bekannten Fortepianospieler Pixis seine Kunst, und der damaligen vorzüglichen Gesanglehrerin Czegka ihre ersten Belehrungen im Gesange), ging sie mit ihrer Mutter nach Wien, wo sie Gelegenheit fand, die große Sängerin Fodor täglich zu hören, in ihren Geist einzudringen, und sich ihre bezaubernde Methode anzueignen. Vier Jahre lang benutzte Henriette diese treffliche Schule, dann aber begann sie eine, für sie an Gold und Lorbeeren gleich ergiebige Kunstreise, und wurde, nachdem alle Flugschriften ihr Lob verkündet hatten, von den Directoren der Königstädter Bühne in Berlin gewonnen. Auch ihre Mutter und Schwester Nina (letztere nur noch mit Kinderrollen beschäftigt) wurden dort engagirt. In Berlin wurde ihr der Justizrath Bode zum Vormund gegeben, der sie wie eine Tochter liebte, und ihre Finanzen so gut verwaltete, daß, als sie 2 Jahre darnach ihre erste Pariser Reise antrat, schon Besitzerin eines hübschen Vermögens war. Mit diesem Zeitpunkte begann eine neue Aera für ihre Kunst, wie für ihr Glück. Ost gestand sie einer älteren sie begleitenden Freundin, daß ihr jetzt zum zweiten Male ein neues, inneres Leben aufgehe, und merkwürdig war die plötzliche Rosenglut, die ihre gewöhnlich so ruhigen Züge übergoß, die Begeisterung, welche mächtig aus dem sanften, blauen Auge strahlte, die fast poetische Beredsamkeit ihrer schnell dahin strömenden Rede, wenn sie, die sonst so stille, zurückhaltende Jungfrau, auf diese neuen Geistesblicke, auf die höheren Tendenzen der Kunst kam, die sich ihr erschlossen. – Auch grenzte die Wirkung, welche ihre Erscheinung in Paris auf der Bühne, wie außerhalb derselben hervorbrachte, fast an das Wunderbare. – Die deutsche Sängerin, welche sich mit den bevorrechteten Italienern zu messen daher gekommen, hatte schon dieser scheinbaren Vermessenheit wegen ein entschiedenes Vorurtheil gegen sich. In den Salons, wie in Flugschriften, spöttelte man über la petite allemande, die kein Mensch kannte. Sie trat schon am 3. Abend nach ihrer Ankunft als Rosine im Barbiere di Seviglia auf, – ein Phänomen für die Pariser, welche auf eine mit Ermüdung, Heiserkeit und kleinen Zierkünsten aller Art angefüllte Aufschubsperiode gerechnet hatten. Neugierde, die »robuste« und unbefangene Deutsche zu sehen, welche nicht daran gedacht hatte, sich interessant zu machen, hatte das théatre favard überfüllt. Als die Erwartete, unter der man sich eine dreiste, corpulente Provinzsängerin gedacht hatte, in ihrer schüchternen Lieblichkeit auf dem Balkon erschien, als sich alle bewaffneten und freien Augen neugierig auf sie richteten, und die ersten Silbertöne des Recitativs in leisen, von augenblicklicher Befangenheit erregten Bebungen fibrirten – da brach mit einem Male die Anerkennung dieser zarten Bescheidenheit, wie der Lieblichkeit dieser Grazienerscheinung, in einen allgemeinen Applaus los. Der Künstlerin Muth kehrte zurück, mit einer leichten Verbeugung des Dankes verließ sie den Balkon, und kehrte in der 6. Scene, die Rosine mit der bekannten Cavatine eröffnet, gefaßt wieder, wo ihr herrlicher Gesang, wie ihr seines Spiel, die Nachsicht und Zufriedenheit in Enthusiasmus umwandelte. Ein Enthusiasmus, der bei jeder ihrer nachmaligen 23 Erscheinungen immer zunahm, und ihr in ihrer Benefice-Vorstellung, die 3. Wiederholung der Donna del Lago zwei Kränze mit sinnreichen Devisen zuwarf, wovon auf die laute Forderung des Publicums ihr einer auf das blühende Haupt gesetzt wurde. Unmöglich ist es, ihr in allen Triumphen der Kunst, wie ihrer persönlichen Liebenswürdigkeit, nachzufolgen. Die Direction der italienischen Oper gestand mit Bewunderung, nie mit einer so launenfreien, anspruchslosen Künstlerin verkehrt zu haben. Die pariser Großen, gewöhnt jede Talentproduktion in gesellschaftlichen Kreisen mit großen Summen zu honoriren, wurden von Achtung gegen die junge Deutsche erfüllt, welche durch angesehene Personen fest erklären ließ, daß sie bei dem ersten Erbieten der Art jede Einladung absagen werde, als bloßer Gast behandelt sein oder gar nicht erscheinen wolle. Durch den preußischen Gesandten bei einem festlichen Diner eingeführt, von dem so liebenswürdigen als gelehrten Alexander von Humboldt in den Häusern seiner Bekanntschaft präsentirt, durch ihre Begleiterin, eine Frau von Stand und Bildung, mit dem herzoglich Dalberg'schen Hause bekannt gemacht, bedurfte es keiner Empfehlungsschreiben, um die Künstlerin in allen höheren Cirkeln heimisch zu machen. Als endlich die alte sittenstrenge Herzogin von Lothringen (Madame de Vaudemont), der sie im Hause Talleyrand's durch die Herzogin von Dino vorgestellt wurde, in die Worte ausbrach: »je ne voudrais pas pour tout au Monde que ma fille fusse autrement, – – da begab sich das in Paris bis dahin Unerhörte, daß Damen vom ersten Range bei der deutschen Sängerin zu Gegenbesuchen vorfuhren. Auch das interessante Paar, Benjamin Constant und seine Gattin, eine geborene Gräfin Hardenberg, diese beiden entgegengesetzten Pole der äußersten Aristokratie und des Republikanismus, die sich hier in dem versöhnenden Centralpunkt einer begeisterten Liebe vereinigten, waren unter dieser Anzahl, und Henriette genoß das seltene Glück, täglich in der Umgebung von Personen zu leben, die einen europäischen Ruf genießen. Auch die Liebe bot Henrietten ihre Kränze. Ein berühmter Tonkünstler und ein unabhängiger, junger Mann von hohem Range warben um ihre Hand. Ohne Rückhalt, aber mit der zartesten Achtung, schlug sie beide Anträge aus, obwohl ihr Herz für den letzteren sprach, und sie nur einer Idee von Pflicht das große Opfer brachte, welche sie an das Festhalten eines fast noch in den Kinderjahren gegebenen Wortes knüpfte. Diese inneren Kämpfe, wie die unerhörte Anstrengung ihrer 2 monatlang fortgesetzten Beschäftigungen, hatten ihre Gesundheit angegriffen. Aber die Seebäder von Boulogne stellten sie bald wieder her, und blühender als je trat sie Ende Septembers 1826 ihre Rückreise nach Berlin an, die allenthalben einem Triumphzuge glich. Man hatte ihr die glänzendsten Erbietungen gemacht, ja ihren Abschied, wie die Verzeihung des Königs von Preußen zu erwirken sich erboten, wenn sie den Berliner Contract brechen und gleich in Paris bleiben wolle. Henriette, immer nur ihrem Idol der Pflicht huldigend, weigerte sich standhaft, und verließ mit zerrissenem Herzen das ihr so lieb gewordene Paris, nachdem sie dort einen 3 jährigen Contract geschlossen, und ihn gleich nach Ablauf des Berliner anzutreten sich verpflichtet hatte. Glänzend war ihre Aufnahme in Weimar und Frankfurt ihrem Herzen am wohlthuendsten aber eine Zusammenkunft mit ihrer Großmutter in Mainz. Dort auch betete sie am Grabe ihres Vaters, gab mehreren unbemittelten Verwandten Beweise ihrer Großmuth, sang im Theater für die Armen, wurde hier von dem greisen Matthisson aufgesucht, der ihr des Dichters und Greises letzten Segen brachte, und verließ die Heimath ihrer Eltern wie ein segnender Schutzgeist. Ihr Empfang in Berlin war wie ihr Scheiden – glänzend. Als sie den Entschluß, das dortige Engagement künftig mit dem Pariser zu vertauschen, aussprach, – wurden ihr ganz unerhörte Anerbietungen gemacht, um sie zur Wortbrüchigkeit zu bewegen. Henriette, in diesem Falle fast wie ein Mann, blieb ihrem Worte treu. Nun machte man ihr tausenderlei Schwierigkeiten – sie aber berief sich auf den Umstand in Koblenz unter damaliger französischer Herrschaft geboren, mithin mit dem eben erreichten 21. Jahre volljährig zu sein und folglich über sich disponiren zu können. Endlich im September 1827 reiste sie nach Frankreichs Hauptstadt. Ihr Aufenthalt daselbst war in jeder Beziehung eine Wiederholung des ersten. Nachdem sie die Pasta noch einige Zeit studirt hatte, wagte sie neben dieser die Desdemona und Semiramis, beides Paraderollen der Pasta, mit entschiedenem Triumphe zu geben, ging dann auf 3 Monate nach London und erreichte dort den Culminationspunkt ihres Künstlerrufes und Reichthumes. Zum ersten Male regte sich aber auf diesem Glücksgipfel der Neid! Die Verläumdung fiel die nie Angegriffene mit vergifteten Waffen an, und erfüllte sogar die Journale mit gehässigen Anekdoten. Diese Erfahrung, an deren Möglichkeit Henriette, in dem Bewußtsein ihrer Reinheit, nie geglaubt hatte, das bittere Gefühl, von einem Freunde, der sie angebetet hatte, losgerissen zu sein, erfüllte die junge Brust mit Gram, die sich mitten unter den Weihrauchwolken, die sie umgaben, so isolirt fühlte. – Da erschien der Graf Rossi und bot ihr ein Herz voll Bewunderung und Liebe. Henriette wurde nach kurzer Zeit die Seinige, und brachte ihm (die Ansichten seiner, mit den Fürsten Salm und Andern verwandten Familie zu schonen) das große Opfer, ihre Verbindung zu verheimlichen, wodurch sie (die nie den leisesten Argwohn über ihre Sitten erregte) natürlich abermals dem vielfältigsten und bittersten Gerede Preis gegeben wurde. – Sie kam nun nach Berlin zurück, gastirte mit gewohntem Beifalle 24 Mal, und erlangte vom Könige, daß er sie als Fräulein von Klarenstein in den Adelstand erhob. Durch diese Maßregel beschwichtigt, willigte die Familie des Grafen Rossi in die Bekanntmachung ihrer Vermählung, und Henriette, die nur noch ihren sehr musikalischen Gemahl, oder den Hof in einem Privatconcerte durch ihren Gesang entzückt, lebt jetzt mit demselben in dem Haag, wo er als sardinischer Gesandter angestellt ist, eine glückliche Mutter bildschöner Kinder, in den angenehmsten Verhältnissen.
M.
http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834.